Zeitschrift-Artikel: Wir und die Menschen

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Titel: Wir und die Menschen
Typ: Artikel
Autor: J.G. Fijnvandraat
Autor (Anmerkung):

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Titel

Wir und die Menschen

Vortext

Text

Ein abgesondertes Volk

Gläubige bilden in dieser Welt eine abgesonderte Gesellschaft. Sie sind das >Eigentumsvolk< Gottes (Tit 2,14). Bei dieser Aussage denken wir unwillkürlich an Israel, das als Volk von den Völkern abgesondert und von Gott >sein Eigentum< genannt wurde (2Mo 19,5; 5Mo 4,20; etc.). Wir sind als Gläubige, als das Eigentumsvolk Gottes aus der Finsternis zu Gottes wunderbarem Licht gerufen (1Pe 2,9). Wir sind herausgerissen "aus der gegenwärtigen bösen Weit" (Gal 1,4). Wir sind >in der Welt<, aber nicht >von der Welt< (Jo 17,11.14.16).

Diesbezüglich besteht zwischen uns und dieser Welt eine absolute Trennung. Wir machen mit der Welt und ihren sündigen Praktiken nicht mit. Die Bibel ruft uns auf, die Welt - und das, was in der Welt ist: die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und den Hochmut - nicht zu lieben (1Jo 2,15-17).

Keine Einsiedler

Im ersten Jahrhundert des Christentums haben Christen gemeint, daß sie sich vollkommen aus der Welt zurückziehen müßten. Sie meinten, daß sie dadurch auch das Fleisch in sich abtöten und vollkommen heilig vor Gott werden könnten. Sie dachten, getrennt von der Welt zu stehen, abgesondert von ihr, lebten jedoch in einer Isolation im Hinblick auf die Welt und sogar auch im Blick auf ihre Mitgläubigen. Das ist es aber nicht, was der Herr möchte. Der Herr Jesus sagt nämlich von den Seinen, daß Er sie ebenso in die Weit gesandt hat, wie der Vater Ihn in diese Welt gesandt hat (Jo 17,18). Nun, unser Herr war bestimmt kein Einsiedler. Als Christen müssen wir ein Licht in dieser Welt sein. Wir werden nicht aufgefordert, Einsiedler zu werden oder einen Mönchsorden zu bilden, wie sich das in den späteren Jahrhunderten des Christentums entwickelt hat. Wohl Absonderung, wohl getrennt sein, aber keine Isolation.

Zwei Gefahren

Es ist deutlich, daß es für uns zwei Gefahren gibt. Die eine ist, daß wir unsere Trennung, unsere Absonderung aufgeben und mit der Welt mitmachen. Die andere ist, daß wir uns in eine unbiblische Isolation zurückziehen. Im letztgenannten Fall haben wir ausschließlich Umgang mit Mitgläubigen, vielleicht sogar nur mit Gläubigen innerhalb des eigenen Kreises oder der eigenen Gruppe. Wir haben dann keinen oder nur wenig Kontakt mit den Menschen in unserer Straße. Bei der Arbeit tun wir unsere Pflicht, aber vom Wohl und Wehe unserer Kollegen wissen wir nichts, weil wir über den Austausch von Höflichkeiten mit ihnen keinen echten Kontakt haben. Ich nannte das eine unbiblische Haltung, denn in der Bibel wird ausführlich über unseren Kontakt zu den Menschen gesprochen. Manchmal wird sogar ausdrücklich von >allen Menschen< gesprochen.

Das Beherzigen, was vortrefflich vor den Augen aller Menschen ist.

Nachdem Paulus in den ersten elf Kapiteln des Römerbriefes die Lehre vom Heil entwickelt hat, beginnt er in Kapitel 12 mit einer großen Anzahl praktischer Anweisungen. Die Anweisungen betreffen nicht nur unseren Umgang mit Mitgläubigen, sondern auch unseren Umgang mit den Menschen im allgemeinen. In den Versen 17 - 20 stoßen wir zweimal auf den Ausdruck >alle Menschen<. So lesen wir in Vers 17: "Vergeltet niemand Böses mit Bösem, seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen." Der erste Teil dieses Verses ist noch ausschließlich negativ; er sagt aus, was man nicht tun soll. Der zweite Teil ist positiv und zeigt an, daß wir uns für den anderen einsetzen müssen. Manchmal beschränken wir "das, was ehrbar ist" auf das Sprechen über das Evangelium oder das Einwerfen von Traktaten in den Briefkasten. Das "Bedachtsein auf das, was gut ist" hat auch sehr praktische Hilfe im Blick. Einkaufen gehen für eine kranke Nachbarin, einem Kollegen bei der Arbeit zur Seite stehen, wenn er in der Patsche sitzt. Kurz: Wir müssen uns dienstbar machen für den anderen. Und das nicht nur für sympatische Menschen, sondern für alle Menschen.

Mit allen Menschen Frieden halten

Aber wenn Menschen einem Böses antun? Muß man dann auch lieb und nett sein? Dieser Möglichkeit trägt die Schrift Rechnung, denn dem Ausdruck "seid bedacht auf das, was ehrbar (gut) ist vor allen Menschen" geht das Wort "vergeltet niemand Böses mit Bösem" voraus. Der Möglichkeit, daß Menschen uns Böses antun, wird also durch den Herrn wirklich Rechnung getragen. Aber selbst dann müssen wir Gutes tun und dürfen nicht Böses vergelten. Ja, selbst unserem Feind müssen wir zu essen geben, wenn er Hunger leidet (Vers 20).

Nun können Menschen manchmal sehr lästig, ja sogar auch unredlich sein. Manchmal ist mit ihnen überhaupt nichts anzufangen. Es gibt echte Streitvögel. Man kann ihnen nichts Gutes tun. Auch für diese Möglichkeit wurde durch den Herrn vorgesorgt. Er läßt Paulus deshalb schreiben: "Wenn möglich, soviel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden!" Wir dürfen deshalb keine Ursache von Streit bilden und auch dem Suchen nach Streit nicht nachgeben.

Ich habe mich allen zum Sklaven gemacht

In 1Ko 9,19.20 finden wir nicht wortwörtlich den Ausdruck >alle Menschen<. Mit dem Wort >alle< sind aber alle Menschen gemeint. Wenn es um seinen Dienst geht, dann hat Paulus sich den Juden gegenüber wie ein Jude verhalten und sich gesetzlichen Gebräuchen unterworfen. Und denen, die ohne Gesetz sind, ist er wie einer ohne Gesetz geworden. Er wollte jeden für das Evangelium gewinnen und machte sich sozusagen allen zum Sklaven, um ihnen zu dienen.

Wir sind lieber >Herren< als >Sklaven<. Wir können von dem Apostel sehr viel lernen. Laßt uns doch das Wohl und Wehe der Menschen auch so zu Herzen nehmen, wie es bei ihm der Fall war.

Kein Stolperstein sein

In 1Ko 10,32.33 hat Paulus unsere Haltung im Blick auf die gesamte Menschheit vor Augen. Die Menschheit ist in drei Kategorien unterteilt: Juden, Griechen und die Gemeinde Gottes. Für keine von ihnen dürfen wir zu einem Stolperstein werden. Aber das sind wir, wenn unser Verhalten nicht mit unseren Worten übereinstimmt. Wer den Menschen das Evangelium bringt, bekommt oft zu hören: "Das sollen also Christen sein, Sie sollten mal sehen, wie die leben." Jemand drückte es einmal so aus: "Wenn es dort oben einen Gott gibt, dann hat er hier aber ein sehr unangenehmes Bodenpersonal." Es ist ein Jammer, ja, traurig, wenn das von uns gesagt werden müßte. Die Ermahnung, kein Stolperstein zu sein, ist für uns gerade so aktuell wie für die Korinther seinerzeit. Aber Paulus fügt dem noch etwas hinzu. Er bleibt wieder nicht beim Negativen stehen. Er zeigt auf, wie er in allem allen gefallen möchte und daß er dabei nicht seinen eigenen Vorteil sucht, sondern den der vielen. Dabei hat er als Ziel vor Augen, daß sie errettet werden. Das ist die wahre christliche Haltung!

Allen Gutes tun

Ein sehr bekannter Text im Zusammenhang mit unserem Thema ist Gal 6,10. Wir lesen darin die Ermahnung: "Laßt uns also nun, wie wir Gelegenheit haben, allen gegenüber das Gute wirken, am meisten aber gegenüber den Hausgenossen des Glaubens." in 1Thess 5,15 stoßen wir auf eine ähnliche Ermahnung: "Strebt allezeit dem Guten nach gegeneinander und gegen alle!" In diesem Fall könnte das Wort >gegeneinander< auf die Gläubigen in Thessalonich hinweisen und das Wort >alle< auf alle anderen Gläubigen (so auch 1Thess 3,12). Aber hier in Gal 6,10 ist dieser Gedanke ganz sicher ausgeschlossen. Hier sind mit >allen< alle Menschen gemeint.

Der Apostel ist nun in zweierlei Hinsicht sehr nüchtern. Zum ersten sagt er: "Wie wir Gelegenheit haben." Es kann nämlich sein; daß es uns an Mitteln fehlt, um Gutes zu tun. Es kann auch sein, daß wir keine Möglichkeit haben, jemandem mit Geld, Gütern oder Taten Gutes zu tun. Wir können den Betreffenden damit nicht mehr erreichen. Über die Medien werden wir mit der Not der ganzen Welt konfrontiert. Wir können nicht überall helfen. Das dürfen wir natürlich nicht als einen Vorwand gebrauchen, dann nirgendwo zu helfen. Jeremia sagt nicht umsonst, daß das Herz des Menschen arglistig ist (Jer 17,9). Oft ist es ja doch möglich, über bestimmte Kanäle Geld oder Güter in die Gebiete zu senden.

An zweiter Stelle zeugt der Ausdruck "am meisten aber gegenüber den Hausgenossen des Glaubens" von Nüchternheit. Was sollten wir über Eltern sagen, die zwar sehr gut für Kinder armer Nachbarn sorgen, das aber auf Kosten der eigenen Kinder tun?! Diejenigen unter den Gläubigen, die in Not sind, müssen also bei unserer Hilfeleistung den Vorrang haben.

Beten für alle Menschen

Eine wichtige Sache ist, daß wir für alle Menschen beten (1Tim 2,1-4). Stand oder Rang gibt da keinen Ausschlag. Zwar werden in diesem Abschnitt Menschen in Regierung besonders genannt. Aus dem Zusammenhang läßt sich schließen, daß es um ihr ewiges Heil geht. In Vers 4 folgt darauf, daß ein solches Gebet gut und angenehm vor Gott ist, welcher "möchte, daß alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen". Wenn Menschen in Regierung zum Glauben kommen, dann wird sich das auch auf die Führung ihrer Amtsgeschäfte auswirken. Die Tatsache, daß der Nachdruck auf der Bekehrung von Königen und denen, die in Hoheit sind, liegt, schließt dann auch nicht das Gebet dafür aus, daß sie mit Weisheit ihre Aufgaben versehen. Es geht aber in erster Linie um ihr geistliches Wohlbefinden.

Allen gegenüber freundlich sein

Für einen Diener des Herrn gilt, daß er nicht streiten soll, sondern gegen alle freundlich (oder: milde) sein soll (2Tim 2,24). Paulus schreibt das an Timotheus. Tatsächlich sind wir alle Knechte und müssen wir alle uns dieses Wort zu Herzen nehmen. Auch hier können wir nicht mit letzter Sicherheit sagen, daß mit >allen< alle Menschen gemeint sind. Vielleicht gibt Vers 25 aber doch einen Hinweis in diese Richtung. Es wird da gesagt, daß wir Widersacher mit Sanftmut zurechtweisen müssen. Wenngleich unter Gläubigen auch Widersacher aufstehen können, scheint dieser Vers auf die zu weisen, die draußen stehen, oder solche, die die Gemeinschaft der Kinder Gottes verlassen haben. Das in diesem Vers vorkommende Wort >Buße< könnte in diese Richtung weisen.

Bei den Worten >Milde< und >Sanftmut< denke ich an ein Lied, in dem es heißt: "Ich möchte sein wie Jesus, so niedrig und so gut, seine Worte waren freundlich, seine Stimme immer mild.." Der Herr Jesus ist in allem unser großes Vorbild. Laßt uns mehr von ihm lernen. Es kann notwendig sein, zu ermahnen oder zurechtzuweisen. Dann muß das auch geschehen, aber laßt es uns milde und sanftmütig tun. Dann kommen unsere Worte viel eher 'rüber, als wenn wir es in einem scharfen, streitsüchtigen Ton tun oder jemanden von oben herab zurechtstutzen.

Sanftmut allen Menschen erweisen

Daß Paulus mit 2Tim 2,24 an unsere Haltung gegenüber allen Menschen denkt, läßt sich auch aus Titus 3,2 ableiten. Da treffen wir eine ebensolche Ermahnung an, nicht streitsüchtig zu sein, sondern milde und "an allen Menschen Sanftmut zu erweisen!" Was für eine Aufgabe! Noch einmal: Unser großes Vorbild ist der Herr Jesus. Er konnte sagen: "Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig" (Mt 11,29). Seht auch, wie er den Pharisäer zurechtweist, der ihn in sein Haus eingeladen hatte (Lk 7,36-50). Laßt uns stets seine Person, sein Vorbild vor Augen haben.

Die oben genannten Bibelstellen zeigen auf, daß wir uns nicht mit einem Buch in der Hand aus der Welt in eine Ecke hinein zurückziehen dürfen, sondern daß wir gegenüber allen Menschen offen sein und in allem das Beste für sie suchen sollen.

Nachtext

Quellenangaben

aus: Bode van het Heil. in Christus, Jg. 1995, S. 11ff., Übersetzung: Ralf Müller