Zeitschrift-Artikel: "Gibt es Christen in Deutschland?"

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Titel: "Gibt es Christen in Deutschland?"
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

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Titel

"Gibt es Christen in Deutschland?"

Vortext

Text

Ende November 1997 starteten Alois Wagner und ich eine erneute Santiago de Cuba Reise nach Kuba, um einige Gemeinden im Osten des Landes kennenzulernen, von denen wir gehört hatten, daß dort eine besonders große materielle Armut herrscht.

Tatsächlich gibt es sogar in diesem Land ein Ost-West-Gefälle. Während man im Westen ab und zu einen Christen treffen kann, der ein Auto aus den 50er Jahren oder ein Motorrad besitzt, haben wir im Osten des Landes nicht einmal jemanden getroffen, der Besitzer eines Mopeds war. Nur wenige haben ein Fahrrad, viele leben in einfachen Holz- oder Strohhütten mit Lehmboden und einer Feuerstelle aus Steinen. Ein WC haben wir in diesen Tagen nirgends angetroffen und auch am Monatslohn kann man dieses Gefälle ablesen: verdient man im Westen pro Monat 4-6 Dollar, so im Osten des Landes etwa 25% weniger.

Um einige Erfahrungen aus der Vergangenheit reicher flogen wir dieses Mal Habana (Havanna) an. Literatur hatten wir nicht mit, dafür aber ca. 60 kg Medikamente und zahlreiche Briefumschläge mit Gaben von Geschwistern und Versammlungen aus Deutschland, die wir bei unseren Besuchen weitergeben durften. Zu unserer großen Dankbarkeit wurde unser Gepäck bei der Einreise kaum kontrolliert - man sah die Medikamente, Buntstifte usw. und behandelte uns sehr wohlwollend.

Nach zwei Tagen Aufenthalt in der Nähe von Habana, wo wir einige Gemeinden und zahlreiche Brüder wiedersehen durften, die wir bei unserer ersten Reise kennengelernt hatten und die Alois bei seinem Besuch im Sommer in einem dreiwöchigen Intensivkurs geschult hatte, flogen wir dann nach Bayamo, in den Osten des Landes, wo es eine Anzahl Gemeinden gibt, die noch weniger Kontakt mit der Außenwelt haben und die bisher keine Christen aus Europa kennengelernt hatten.

Der Empfang in dem Dorf Entronque de Bueycito war entsprechend herzlich. Die Gemeinde besteht aus etwa 80 sehr fröhlichen und freudigen Geschwistern, die in einem bescheidenen, aber sauberen Bretterverschlag zusammenkommen. Es ist immer wieder eine großartige Erfahrung, wie man mit Menschen, die man bisher noch nie gesehen hat, in wenigen Minuten ein Herz und eine Seele ist, weil wir einen Herrn und einen Geist haben.

Am gleichen Abend konnten wir dort das Wort Gottes verkündigen und wir waren gespannt, welche Eindrücke wir am kommenden Tag, dem Sonntag, sammeln würden.

Gemeinschaft

Bereits um 7 Uhr morgens trafen die ersten Geschwister ein, die teilweise einige Stunden gelaufen oder mit dem ersten Bus gefahren waren. Eine Stunde später begann die Sonntagsschule, bei der auch viele Erwachsene aufmerksame Zuhörer waren. Um 9 Uhr fand eine halbstündige Gebetsgemeinschaft statt und dann begann die Abendmahlsfeier. Inzwischen waren etwa 100 Personen versammelt, auch der älteste Bruder von über 80 Jahren war eingetroffen - er wird zu jeder Gemeindestunde von einem jungen Lehrer abgeholt, der ihn jedesmal 4 oder 5 km auf dem Fahrradsattel transportiert. Daß auf diese Weise eine buchstäblich enge Beziehung zwischen Jung und Alt entsteht, versteht sich von selbst.

Dem Brotbrechen folgte dann die Wortverkündigung und ein gemeinsames Mittagessen. Anschließend brach man zu einem Ausflug auf, um am Nachmittag eine benachbarte Bergversammlung zu besuchen. Zu diesem Zweck hatte man einen kleinen LKW gemietet, auf dessen Ladefläche etwa 40 - 50 Leute gepfercht wurden. Die letzten Kilometer gingen wir durch eine malerische Umgebung zu Fuß, weil die Bergversammlung nur auf Trampelpfaden zu erreichen war.

Dort in Punta de Cana wurden wir schon erwartet. Der Reis dampfte und einige Hühner hatten bereits ihr Leben lassen müssen. Diese abgelegene Gemeinde ist erst vor etwa 3 Jahren entstanden, inzwischen gibt es 25 getaufte Geschwister, die dort im Freien, unter Palmen zum Gottesdienst zusammenkommen. Als wir uns vorstellten und Grüße aus AIemania bestellten, kratzte sich einer der Ältesten der Gemeinde - er war etwa um die 35 Jahre alt - hinter dem Ohr und fragte erstaunt: "Gibt es in Deutschland Christen?"

Diese einfältige Frage, die uns in diesen Tagen übrigens nicht nur einmal gestellt wurde, hat mich sehr bewegt. Sie ist ein Beweis der jahrzehntelangen Isolation der Menschen und Christen in diesem Land, die teilweise meinten, außerhalb von Kuba gäbe es keine weiteren Christen.

Andererseits hat mich diese Frage aber auch sehr beschämt. Wie ist es möglich, daß wir als Christen im Wohlstandsland Deutschland jahrzehntelang kein oder kaum ein Interesse für unsere schlichten, aber wertvollen und hingegebenen Brüder und Schwestern in diesem Land zeigen?

Gastfreundschaft

Für die Geschwister in Kuba haben Gemeinschaft und Gastfreundschaft einen hohen Stellenwert. Als wir am nächsten Morgen um 6 Uhr aufbrachen, um eine weitere Bergversammlung zu besuchen, hatte man dort - als wir zwei Stunden später eintrafen -bereits ein Schwein geschlachtet und eine Anzahl junger Brüder war stundenlang durch die Berge gewandert, um bei der Bibelstunde um 10 Uhr dabei zu sein. Auch hier staunten wir nicht schlecht, als wir an der Kopfseite des kleinen Versammlungsraumes ein handgemaltes Panorama der Heilsgeschichte sahen.

Diese meist jungen Geschwister dort sind Kaffeebauern, die 6 Tage in der Woche hart arbeiten müssen, um pro Tag etwa 20 Cent (4 Dollar im Monat) zu verdienen.

Eine Lektion, die uns einer der Kaffeebauern an diesem Morgen erteilte, werde ich nicht so schnell vergessen: Er zeigte uns an einem Kaffeestrauch, wie dessen Zweige nach unten gebogen werden müssen, um mehr Frucht zu bringen. Geistliche Fruchtbarkeit ist auch in unserem Leben nur möglich, wenn der Meister uns beugt und demütigt!

Alltagsprobleme

Als wir abends wieder im Tal eintrafen, wurden wir mit den Alltagsproblemen der Geschwister konfrontiert. Der junge Arzt -ein eifriger Mitarbeiter der Gemeinde - fragte Alois, ob er vielleicht ein paar Blätter Papier für ihn erübrigen könnte, denn er hätte nicht einmal Zettel zur Verfügung, um Rezepte aufschreiben zu können! Der junge Lehrer berichtete uns, daß jeder Schüler bei Beginn des Schuljahres ein einziges Heft bekommt, welches für das ganze Jahr reichen muß. Er hatte Tränen in den Augen, als er von Alois Kreide für die Tafel bekam, denn bisher mußte er sich damit helfen, daß er irgendwelchen alten Gipsfiguren den Kopf abschlug, um mit dem Rumpf Spuren auf der Wandtafel zu erzeugen. Er berichtete auch, daß die Kinder nach der zweiten Unterrichtsstunde wegen Hunger so unkonzentriert seien, daß ein Unterricht kaum möglich wäre.

Kniefall vor dem Papst

Während ich diese Zeilen schreibe, befindet sich Papst Johannes Paul II. in Kuba. Der wirtschaftliche Notstand treibt Fidel Castro zum Kniefall vor dem Papst, dem Hunderttausende Kubaner zujubeln und von dessen Besuch sie eine politische und wirtschaftliche Wende erwarten. Bei unserem Besuch im November war uns schon aufgefallen, daß auf den Straßen mehr Plakate vom Papst als Bilder von Fidel Castro und Che Guevara zu sehen waren. Wer die Geschichte Castros kennt, weiß, daß ihm das Wasser bis zum Bart stehen muß, wenn er diesem politischen und religiösen Taktiker die Tür nach Kuba öffnet. Der Papst wird das Eintrittsgeld gerne und ohne Mühe zahlen, um ein weiteres, bisher kommunistisches Land seinem Imperium hinzuzufügen. "Kuba wird nach dem Besuch des Papstes nicht mehr dasselbe sein!" hatte der kubanische Kardinal verkündigt und viele bibeltreue Christen haben vor der wahrscheinlich neu erstarkenden Macht der katholischen Kirche mehr Angst, als vor der kommunistischen Überwachung.

Stärken und Gefahren der jungen Generation

Was uns bei unseren Besuchen und Gesprächen besonders erfreut hat, ist die Tatsache, daß junge Christen heranwachsen, die lernbereit, hingegeben und in einer guten geistlichen Haltung dem Herrn dienen möchte. Sie praktizieren persönliche Evangelisation, sammeln Menschen in Hauskreisen und scheuen weite und beschwerliche Wege nicht, um Kontakte zu Christen herzustellen und zu pflegen. Unser Eindruck war auch, daß die Beziehungen zwischen jungen und alten Geschwistern sehr gut sind und die älteren Brüder sich in der Öffentlichkeit bewußt im Hintergrund halten, um den jüngeren Brüdern Gelegenheit zum Dienst zu geben.

Wir sollten beten, daß diese jungen Geschwister die derzeitige Übergangszeit nutzen, um sich für kommende Aufgaben zu rüsten und daß der Herr sie vor der Versuchung bewahrt, bei einer möglichen politischen Wende materiellen Wohlstand der Arbeit im Weinberg unseres Herrn vorzuziehen.

Nachtext

Quellenangaben