Zeitschrift-Artikel: Adoniram Judson bedrängt, aber nicht besiegt (Teil 3)

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Titel: Adoniram Judson bedrängt, aber nicht besiegt (Teil 3)
Typ: Artikel
Autor: Christoph Grundwald
Autor (Anmerkung):

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Titel

Adoniram Judson bedrängt, aber nicht besiegt (Teil 3)

Vortext

„Wenn sie fragen, welche Aussichten es auf letztendlichen Erfolg gibt, dann sage ihnen: So viele, wie es einen allmächtigen und treuen Gott gibt, der seine Zusagen erfüllt – und nicht mehr. Sollte sie das nicht zufriedenstellen, so bitte sie, mich hier bleiben zu lassen und es zu versuchen [...] und dass sie uns unser tägliches Brot geben mögen; oder – falls sie nicht bereit sind, ihr Brot für eine so hoffnungslose Sache, die nur durch das Wort Gottes gestützt wird, zu riskieren – bitte sie darum, dass sie wenigstens andere nicht abhalten mögen, uns ihr Brot zu geben. Und falls wir zwanzig oder dreißig Jahre leben sollten, werden sie möglicherweise wieder von uns hören.“ Adoniram Judson1 „Wir kommen mehr und mehr zu der Überzeugung, dass das Evangelium nur durch viele Prüfungen und Schwierigkeiten, durch viel Selbstverleugnung und ernstliches Gebet in dieses Land eingeführt werden wird.“ Ann Judson2

Text

Es war keine angenehme Reise, die Judsons nach Rangoona) führte. Im Gegenteil – besonders für die schwangere Ann war es eine harte Zeit. In Madras fanden sie zwar eine europäische Frau, die ihnen auf der Überfahrt und bei der bevorstehenden Geburt behil ich sein sollte – sie starb aber völlig unvermittelt noch bevor das Schiff ablegte.b) Ann war also völlig auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen und entband Mitte Juni ihr erstes Kind – doch es war tot! Der Schmerz und die Trauer saßen tief. Zu all dem kamen ungünstige Winde, ein untaugliches Schiff und eine unfähige Besatzung, was dazu führte, dass das Fahrzeug seinen Kurs nicht halten konnte und in gefährlichen Untiefen seinen Weg suchen musste. Die mitgeführten Lebensmittel reichten für diese Umwege nicht aus. In folge dessen wurde die von der Geburt und der Trauer geschwächte Ann bald sehr krank und wäre ebenfalls fast gestorben. Schließlich erreichte das Boot jedoch die Küsten Burmas und bog nord-östlich in einen der vielen Irrawaddy-Ausläufer ein. Im Land eines despotischen Herrschers Burma (die offizielle, moderne Bezeichnung des Landes lautet „Republik der Union Myanmar“) wurde schon im 11. Jhdt als Monarchie gegründet und hatte auch 1813 nichts vom absolutistischen Charakter verloren: „Die Regierung von Burma ist ungemilderter Despotismus striktesten Charakters. Der König ist der anerkannte Besitzer des Grundes und die Menschen seine Sklaven. Er ist der Herr über Leben und Besitz seiner Untertanen. Kein Rang oder Posten schützt einen Bürger vor der Möglichkeit, sofort zur Exekution übergeben zu werden, wenn dies der Wille des Monarchen ist.“3 Das Land selbst war in Provinzen und diese wiederum in kleinere Distrikte aufgeteilt. Über jede Provinz herrschte eine Art Gouverneur, der freie Hand hatte und seine Provinz ebenso willkürlich verwalten konnte, wie der Monarch das ganze Land. Bevor Burma von den Engländern in die Britischen Inseln eingegliedert wurde, hatte es eine deutlich größere Ausdehnung als heute. Im Norden stießen die Grenzen an Assam und Tibet, im Osten wurde das Land von China und Siam begrenzt, im Westen und Süden durch den bengalischen Golf. Hauptverkehrswege waren die breiten Flüsse des Landes, die es in Regenzeiten auch sehr großen Schiffen erlaubten, ins Landesinnere vorzustoßen. Die Bevölkerungsgröße zu Beginn des 19. Jhdts ist nicht genau bekannt. Der britische Of zier Symes schätzte relativ großspurig 17 Millionen Menschen – eine Zahl, welche die Missionare anfänglich für korrekt hielten. Etwas realistischere Abschätzungen gingen allerdings von nur ca. 6-8 Millionen Menschen aus. Die ethnische Zusammensetzung war dabei (und ist heute noch) sehr bunt. Während ein Großteil der Bevölkerung tatsächlich burmesischer Herkunft war, fand sich eine Vielzahl von weiteren Ethnien im Land, so z.B. die Shan, Karen und Kachin.c) Die vornehmlich ausgeübte Religion war und ist der Buddhismus. Christen gab es keine! Der Charakter der Bevölkerung wird von Zeitzeugen einvernehmlich als unangenehm beschrieben: „Die Burmesen sind raf niert, diebisch, geldgierig, der Räuberei und dem Betrug verfallen. Wahrheit und Ehrlichkeit sind ihnen nicht als Tugenden bekannt.“4 Ann Judson schrieb über das frappierende Ungleichgewicht zwischen den buddhistischen Lehren und dem burmesischen Leben: „Lass all die, welche die einheimische Unschuld und Reinheit der heidnischen Nationen verteidigen, Burma besuchen! Die Religion hat hier keine Macht über die Herzen oder Kraft zur Zurückhaltung der Leidenschaften. Obwohl sie Diebstahl und Unwahrheit mit der Drohung, viele Jahre in der Hölle zu leiden verbietet, maße ich mir an zu sagen, dass es nicht einen einzigen Burmesen im Land gibt, der – wenn er eine gute Gelegenheit, ohne die Gefahr entdeckt zu werden, hat – nicht zögern würde sowohl das eine als auch das andere zu tun. Obwohl die Religion Milde, Zärtlichkeit, das Vergeben von Verletzungen und Feindesliebe einschärft – obwohl sie Wolllüstigkeit, Liebe am Vergnügen und das Anhängen an weltlichen Dingen verbietet, entbehrt sie doch jeder Kraft das erste hervorzubringen oder das letzte in ihren Anhängern zu unterdrücken. Kurz: das burmesische Religionssystem ist wie ein Alabastergebilde – perfekt und schön in all seinen Teilen, aber es entbehrt jeglichen Lebens.“5 Rangoon Während die Georgiana langsam dem Flusslauf ins Landesinnere folgte, nahm Adoniram vom Deck die ersten Eindrücke des Landes auf. Der Blick ins Landesinnere wurde durch dichte Uferbewachsung verwehrt, die nur ab und zu von einigen ärmlichen Fischerdörfern unterbrochen wurde. Das was Judson sah genügte, um den ersten Eindruck, dass Burma nicht so sei wie er es sich vorgestellt hatte, zur festen Gewissheit werden zu lassen. Spätestens als das Schiff im Hafen von Rangoon anlegte, gab es keinen Zweifel mehr. Rangoon war der Sitz des Vize- Königs und aufgrund der idealen, küstennahen Lage das wichtigste Handelszentrum Burmas. Dennoch bestand die Stadt hauptsächlich aus baufälligen Hütten, die auf niedrigen Stelzen im schlammigen Untergrund stehend ein chaotisches Wirrwar bildeten. Zwischen und unter den Häusern suchten sich Fäkalien und Abwasser langsam einen Weg zum Fluss, jedoch nicht, ohne markante „Aromen“ in die Umwelt auszudünsten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Rangoon ungefähr 10.000 Einwohnerd). Das bedeutendste Bauwerk war die Shwe Dagon Pagode, das goldene Wahrzeichen der Stadt, das auch heute noch das religiöse Zentrum des Landes darstellt und wichtige buddhistische Reliquien enthält – so sind z.B. (angeblich) acht Haupthaare Buddhas in einer Schatulle in die Pagode eingemauert. Während Ann an Bord blieb – sie war noch zu schwach um selbst laufen zu können – verließ Judson noch am gleichen Abend das Schiff, um sich ein erstes Bild ihrer zukünftigen Heimat zu machen. Er kam völlig niedergeschlagen zurück ... Als am nächsten Morgen die Sonne aufging und ihr Licht gleißend von den goldenen Türmen der Pagode zurück über die Stadt geworfen wurde, war die Stimmung der Judsons schon etwas besser. Sie gingen an Land – Ann von einer Art Sänfte getragen – und wurden von der neugierigen und nicht besonders scheuen Bevölkerung interessiert und belustigt begleitet, als sie ihren Weg zum Missionshaus nahmen. Die Baptisten aus Serampore hatten schon 1807 mit einer Mission begonnen und zeitweise sogar überlegt, ganz nach Rangoon zu wechseln, aber 1812 war von den ehrgeizigen Plänen nicht viel übrig geblieben. Als einziger Missionar war Felix Carey, der älteste Sohn William Careys, noch in Burma. Das ursprüngliche Missionhaus in der Stadtmitte hatten sie schon vor einiger Zeit verlassen und ein geräumiges Haus etwa eine halbe Meile außerhalb der Stadtmauern errichtet. Carey hatte in den vergangenen Monaten die Pockenimpfung eingeführt und war dadurch in das Interesse des Königs gerückt, der ihn an den Königshof nach Amarapura rief, um seine Familie zu impfen. Daher war er bei der Ankunft der Judsons selbst nicht in Rangoon. Seine Frau emp ng die neuen Missionare umso herzlicher und war gerade für Ann am Anfang eine große Hilfe. Carey kam 1813 noch einmal kurz nach Rangoon, um gleich weiter nach Kalkutta zu reisen. Er erhielt dort neue Impfstoffe und wollte dann mit seiner Familie zurück an den Königshof ziehen. Am 20. August 1814 brach er mit seiner Familie auf und so waren die Judsons schon bald auf sich allein gestellt.e) Ein mühsamer Beginn ... Als erstes galt es die Sprache zu lernen. Wenn man einen Blick auf einen in burmesisch geschriebenen Text wirft, gewinnt man vielleicht einen kleinen Eindruck von der gewaltigen Aufgabe, die sich vor Judsons auftürmte. Ein Lehrer war relativ zügig gefunden und Adoniram widmete sich zwölf Stunden täglich dem Sprachstudium. Ann hatte nicht ganz so viel Zeit für das Studium, da sie den Haushalt organisierte. In diesem Fall ein klarer Vorteil, da sie viel mehr mit den Burmesen selbst zu tun hatte. Sie musste das Personal anweisen, einkaufen usw. Dadurch war sie relativ schnell in der Lage, auf einem gewissen Niveau mit den Leuten zu kommunizieren, während Adoniram mehr die Struktur der Sprache untersuchte, aber weniger Praxis hatte. Nach ca. vier bis fünf Monaten konnten die Judsons zwar eine einfache Unterhaltung führen, aber das Lesen war ungleich schwieriger. Die burmesische Schrift hatte weder Leer- noch Satzzeichen, keine Absätze oder Unterbrechungen. Judson bemerkte außerdem, dass das Burmesische keine eigenen Wörter hatte um abstraktere, theologische Ideen zu transportieren. Sämtliche Begriffe, die für diesen Bereich gebraucht wurden, waren der Sprache Pali entnommen, einem nicht mehr gesprochenen Sanskrit-Dialekt. Pali war mit dem Burmesischen überhaupt nicht verwandt und dennoch musste Judson auch einen Teil dieser Sprache erlernen, bevor er überhaupt mit der Evangeliums-Verkündigung beginnen konnte. Ann nahm ähnliche Mühen auf sich. Sie lernte neben dem Burmesischen auch noch Siam. Später übersetzte sie einige Schriften ihres Mannes in diese Sprache. Zwei mühsame Jahre vergingen, in denen nicht viel geschah. Das Leben wurde vom intensiven Sprachstudium diktiert – mehr konnten die Judsons ohnehin nicht tun. Ann knüpfte einige Kontakte und es gelang ihr sogar, die Freundin der ersten Frau des Vize-Königs zu werden – eine Beziehung, die sich immer wieder auszahlte. Anfangs kamen Judsons mit dem tropischen Klima recht gut zurecht, doch Ende 1814 stellte sich bei Ann ein hartnäckiges und schlimmer werdendes Leberleiden ein. Anfang 1815 ent- schied Adoniram, dass Ann für einige Zeit nach Kalkutta reisen sollte, um sich dort auszukurie- ren. Sie schiffte sich Ende Januar 1815 ein und kehrte im April zurück – jedoch nicht allein. Sie war in Begleitung einer 7jährigen Waise, Emily Vansomeren, welche die nächsten sechs Jahre bei Judson leben sollte.f) Am 11. September 1815 zog ein weiterer Bewohner in das Missionshaus ein: Roger Williams, das zweite Kind der Judsons. Roger war ein kleines, gesundes Baby, an dem die Eltern große Freude hatten. Im März des darauffolgenden Jahres wurde er jedoch nachts immer wieder von einem Fieber befallen, welches tagsüber aber vollständig zurückging. Allmählich wurde auch Adoniram krank. Er bekam heftige Kopf- und Augenschmerzen, die ihn oft tagelang daran hinderten, seinen Studien nachzugehen und ihn nicht selten so schwächten, dass er kaum noch stehen konnte. Er machte sich auf das Schlimmste gefasst und versuchte in den wenigen Augenblicken, in denen die Beschwerden etwas nachließen, seine Aufzeichnungen so zu ordnen, dass einem möglichen Nachfolger der Einstieg leicht gemacht würde. Adoniram erholte sich zwar in den nächsten Wochen, aber „Little Roger“ litt immer noch unter den mysteriösen Fieberanfällen. Anfang Mai trat ein erster, heftiger Hustenanfall auf und am 04. Mai schlief Roger friedlich ein und wachte auf dieser Erde nicht mehr auf. Er wurde im Garten des Missionshauses begraben. Die Judsons litten sehr unter dem Verlust, ahnten zu diesem Zeitpunkt aber sicher noch nicht, dass dies erst der Anfang einer beispiellosen Leidensgeschichte sein sollte. Der Schritt an die Öffentlichkeit Nach drei Jahren Sprachstudium wagte Adoniram 1816 den Schritt an die Öffentlichkeit. Seine Sprachfertigkeiten reichten noch nicht, um mit der öffentlichen Verkündigung zu beginnen, aber er entwarf ein erstes Traktat in Burmesisch. Das Traktat trug die schlichte Arbeitsbezeichnung „Tract No. 1“ und diente nach Judsons eigener Aussage dazu, den Burmesen „erste Vorstellungen eines Erretters und des Weges der Errettung“6 zu geben. Die Geschwister in Serampore sandten eine Druckerpresse und im Oktober kam auch die schon lange ersehnte personelle Verstärkung! George Hough, ein Drucker, und seine Familie unterstützten die Mission. George begann sofort mit der Arbeit und schon bald konnten die ersten Traktate verteilt werden. Im darauffolgenden Jahr stellte Judson eine burmesische Übersetzung des Matthäus- Evangeliums fertig – der erste Schritt zur burmesischen Bibel! „Auszeit“ auf See Gegen Ende des Jahres fühlte Adoniram sich bereit. Er wollte mit der öffentlichen Predigt beginnen – dem einzigen Mittel, dass er als legitim und wirksam für die Mission hielt. Kurz zuvor hatte er davon gehört, dass in Chittagongg) einige Exil-Burmesen zum Glauben gekommen waren und er hielt es für sinnvoll, sich dort Unterstützung eines Muttersprachlers zu sichern. So brach er am Heiligabend 1817 zu einer dreiwöchigen Reise nach Chittagong auf. Doch es kam alles anders. Wieder hatte er das Pech, auf einem schlechten Schiff mit einer unfähigen Besatzung zu reisen. Dem Kapitän gelang es aufgrund ungünstiger Winde nicht, Chittagong zu erreichen, also änderte er seine Absichten und steuerte auf Madras zu, was ebenfalls unerreicht blieb. Nach einigen Wochen war der (für drei Wochen kalkulierte) Proviant aufgebraucht und alles, was sie zu essen hatten, waren von anderen Schiffen auf hoher See erbettelte Lebensmittel – meist schimmeliger Reis und faules Wasser. Judson baute körperlich dramatisch ab. Nach zwölf Wochen erreichte das Schiff die Nähe von Masulipatamh) und er schickte eine Nachricht mit der dringenden Bitte um Hilfe an Land. Wenig später meldete ihm ein Mitglied der Mannschaft, dass ein kleines Boot auf sie zuhielt. Judson schleppte sich mit letzter Kraft an Deck und brach bei dem Anblick roter, englischer Uniformen in Tränen aus – und kurz danach zusammen. Die Engländer – freundliche Offiziere – waren bei seinem Anblick vollkommen entsetzt, nahmen das kaum als Mensch erkennbare Wesen mit an Land und pflegten ihn liebevoll gesund. Als Judson wieder bei Kräften war, wollte er zurück nach Rangoon – aber es gab kein Schiff, was dort hinfuhr. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die 300 Meilen nach Madras über Land zu reisen. Auch dort dauerte es, bis er endlich ein Schiff nach Rangoon fand. Er erreichte die Stadt am 04. August 1818. Die Reise, die knapp drei Wochen dauern sollte, hatte acht Monate beansprucht! Und Ann? Ann begann sich nach einigen Wochen Sorgen zu machen – und etliche Monate später gab sie die Hoffnung fast auf. Außerdem regierte ein neuer Vize-König über Rangoon, welcher der Mission nicht günstig gestimmt war. Kleinere Sticheleien und Repressionen trafen die Mission. Hinzu kam das plötzlich rumorende Gerücht, die Briten stünden kurz davor, in Burma einzumarschieren. George Hough, der sich ohnehin schon länger in Rangoon unwohl fühlte i), drängte zur Abreise nach Kalkutta. Houghs bearbeiteten Ann solange, bis sie nachgab und ihr Gepäck auf ein Schiff brachte. Bevor das Schiff den Hafen verließ, bereute sie allerdings ihre Entscheidung, nahm ihre Sachen und verließ die bestürzten Houghes, um wieder das Missionshaus zu beziehen. Aus späterer Sicht hat diese Entscheidung die Mission in Rangoon wohl gerettet. Houghes selbst kehrten zwei Wochen später ebenfalls zurück, da sich herausstellte, dass das Schiff, mit dem sie reisen wollten, seeuntauglich war. Dennoch reisten sie Ende 1819 zurück nach Kalkutta und druckten von dort aus die Schriften für Rangoon. Das Zayat Obwohl sein Versuch Helfer zu gewinnen scheiterte, begann Judson nun mit der öffentlichen Predigt. Zu diesem Zweck baute er ein Zayat: eine kleine, Hut-förmige Hütte mit offener Veranda, wie sie gerne von buddhistischen Lehrern genutzt wurde. Sie war sehr einfach, nicht besonders groß (ca. 5x8m), hatte aber zwei kleinere und einen größeren Raum, in welchem sich ein paar Menschen versammeln konnten. Judson war zwar ohne einheimische Helfer, aber kurz bevor sie von Houghes verlassen wurden, trafen zwei junge Paare, die Colmans und Wheelocks, als Unterstützung in Rangoon ein. Leider hatten beide Männer Schwierigkeiten mit dem Klima und husteten nach nur einer Woche Blut. Während Colman sich allmählich erholte, verschlechterte sich Wheelocks Situation – er starb wenig später auf groteske Weise während der Rückreise nach Kalkutta.j) Am 04. April 1819 hielt Judson den ersten öffentlichen Gottesdienst – anwesend waren etwa 15 Einheimische und einige Kinder. Es war unruhig und die Burmesen gaben sich wenig Mühe, Judsons Predigt aufmerksam zu verfolgen. Dennoch öffnete dieser 04. April ein ganz neues Kapitel der burmesischen Mission. Judson sprach nicht mehr nur zu einzelnen Interes- sierten in seiner Umgebung, er begann ein breites, öffentliches Publikum ein- zubeziehen. Nur wenige Wochen später ging er einen Schritt weiter, indem er sich auf die der Straße zur Shwe Dagon Pagode zugewandten Veranda stellte und den Vorübergehenden zurief: „Halt – wer da nach Erkenntnis dürste ...!“7. Und die Menschen kamen. Viele aus Neugier, einige um zu stören, etlich um zu disputieren, aber sie kamen. Die Trophäe der siegreichen Gnade In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Einzelne gegeben, die interessiert waren und bei Judsons Hoffnungen weckten. Bislang wurden sie immer wieder enttäuscht, so dass Adoniram irgendwann schrieb: „Was habe ich als trügerischer erfahren als erste Anzeichen?“8 Ähnlich schrieb er auch am 1. Mai in sein Tagebuch, dass er sehr sorgfältig führte und in regelmäßigen Abständen als eine Art „Arbeitsbericht“ an das Board sandte: „Burmesischer Anbetungstag; natür- lich eine Menge Besucher; unter ihnen Moung Nauk), ein Mann, der mich gestern einige Stunden begleitete; aber wegen seiner Stille und Reserviertheit erregt er keine besondere Aufmerksamkeit oder Hoffnung. Heute jedoch beginne ich, besser von ihm zu denken.“9 Schon zwei Tage später änderte sich der zögerliche Ton: „Ich beginne zu denken, dass die Gnade Gottes sein Herz erreicht hat. Er äußert Empfindungen der Reue für seine Sünden und Glauben an den Retter“.10 Tatsächlich: Am 27. Juni wurde eine große Buddha- Statue stummer Zeuge, wie Moung Nau, die erste „Trophäe der siegreichen Gnade“11, in einem nahe gelegenen Teich seinen Herrn und Retter in der Glaubenstaufe bezeugte. Die Tagebücher Judsons nennen viele weitere Namen von Interessierten, bis zum Jahresende bekehrten sich aber vorerst nur zwei weitere Burmesen, als die junge Gemeinde schon von der ersten Krise getroffen wurde. Der alte Vize-König, zu welchem die Judsons ein sehr gutes Verhältnis hatten, war abberufen und ersetzt worden. Der neue roch seine Chance und versuchte sich durch Sondersteuern an den Christen zu bereichern. Aber nicht nur in Rangoon hatten sich die Machtverhältnisse verschoben – der burmesische König selbst war gestorben und sein Sohn ergriff die Macht und sicherte sie anschließend mit den bewährten Mitteln der Despotie. Die Anzeichen zukünftiger Repressalien mehrten sich, als ein am Christentum interessierter Burmese aus der oberen Gesellschaftsschicht mehr oder weniger offene Drohungen erhielt. Königliche Abfuhr Judson und Colman beschlossen den Versuch zu wagen und direkt nach Ava zu gehen. Warum nicht direkt beim Monarchen um eine Art Religionsfreiheit werben? Wenn ihnen diese gewährt würde, hätten sie freie Hand und das Evangelium könnte sich ungehindert ausbreiten. Kurz vor Weihnachten 1819 segelten Colman und Judson den Irrawaddy hinauf zur neuen Königsstadt Ava. Die Reise war jedoch ein gänzlicher Misserfolg. Der Monarch zeigte zwar anfängliches Interesse, aber als er den ersten Satz von Adonirams Tract No. 1 – „Es gibt ein Wesen, das seit Ewigkeit existiert ...“12 – las, lies er das Blatt kommentarlos zu Boden fallen und wandte sich abrupt von den Missionaren ab. Alle Anwesenden verstanden die Geste nur zu gut. Bitter enttäuscht reisten die Missionare heim und dachten darüber nach, die Mission aufzugeben. Wenn sich der Misserfolg erst einmal herumgesprochen haben würde, wären sie Spielball der buddhistischen Priesterschaft. Sie beschlossen nach Chittagong zu gehen, um dort eine neue Arbeit aufzubauen – aber sie rechneten nicht mit der Standhaftigkeit ihrer kleinen Gemeinde. Die Neubekehrten baten und flehten, verfassten eine Petition und mobilisierten sogar die ungläu- bigen Nachbarn und Verwandten, um auf Judsons einzuwirken. Etliche äußerten ihr Interesse am christlichen Glauben und so ließen sich die Missi- onare umstimmen.l) Der Gottesdienst fand ab jetzt hinter verschlossenen Türen statt und dennoch, nur knapp drei Monate später taufte Adoniram den zehnten burmesischen Christen. Die Aussichten waren trotz der königlichen Abfuhr besser als gedacht. Die erste Krise war überwunden – aber sie gab nur einen schwachen Vorgeschmack dessen, was kommen würde und was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnte ...

Nachtext

a) DerArtikelorientiertsichbei(Orts-)NamenandenenglischenBezeichnungenderQuellen,dasgiltauchfürdasLandBurma (Birma) selbst. Rangoon heißt heute Yangoon. b) Sie stürzte beim Einrichten der Kabine und war nur wenige Augenblicke später tot. Man vermutete einen Schlaganfall. c) Heute leben in Burma ca. 68% Burmesen, 9% Shan, 7% Karen, sowie Kachin (4%), Chinesen (3%), und weitere kleinere Gruppen. (https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bm.html 22.10.2013) d) Diese Zahl ist den Berichten der Missionare entnommen. Wikipedia gibt für 1820 eine Zahl von ca. 40.000 an (19.10.2013) e) Die weitere Geschichte Felix Careys ist äußerst tragisch. Auf der Reise zum Königshof kenterte das Boot, seine Frau und seine beiden Kinder ertranken, obwohl Carey verzweifelt versuchte sie zu retten. Später wurde er vom König angeblich als Botschafter Burmas nach Kalkutta gesandt, wo er jedoch dem luxuriösen Leben, das ihm diese Stelle ermöglichte, ver el. Diese Version ist allerdings umstritten. Es gibt Belege dafür, dass er sich eigenmächtig zum Botschafter aufspielte und ein betrügerisches Doppelleben führte. Die Quellenlage ist jedoch sehr spärlich und z.T. widersprüchlich. Tatsache ist, dass er Alkoholiker wurde und erhebliche Schulden aufhäufte. Er traute sich selbst nicht mehr zurück an den burmesischen Hof und trieb sich drei Jahre in Assam herum. Ein alter Freund, William Ward, bemühte sich immer wieder um ihn, bis Felix Ende 1818 einen Neuanfang wagte und sich der Mission wieder zur Verfügung stellte. Er arbeitete an literarischen Projekten, starb aber schon mit 37 Jahren an Cholera. (Hall, D.G.E; „Felix Cary“ in: The Journal of Religion, Vol 12. No 4. (Oct. 1932), S.473-492) f) Was es mit Emily auf sich hatte, ist völlig ungewiss. Der Nachwelt ist über sie nichts erhalten, außer ihrem Alter und ihrem Namen. Wir wissen, dass sie 1815 zu den Judsons zog und sie 1821 wieder verließ. In Judsons Briefen und Aufzeichnungen wird sie seltsamerweise so gut wie gar nicht erwähnt. g) Eine Stadt an der Küste, die nördlich der Grenze zwischen Burma und Indien liegt, s. Kartenausschnitt S. 16 h) Nördlich von Madras i) Hough hatte Schwierigkeiten, die Sprache zu lernen und arbeitete recht abgeschottet in der Druckerei, so dass er sich offenbar ziemlich isoliert fühlte. j) Das enge Zusammenleben im Missionshaus, verbunden mit der Krankheit ihres Mannes, machte Elisa Wheelock sehr zu schaffen. Sie steigerte sich scheinbar in fast paranoide Züge und drängte ihren Mann nach einiger Zeit zur Rückreise – entgegen dem Rat aller anderen Mitarbeiter. Letztlich hatte keiner mehr Hoffnung auf seine Genesung, aber alle waren sich sicher, dass eine Reise den Tod nur begünstigen würde. Dennoch schiffte sich Elisa mit ihrem Mann nach Kalkutta ein. Als sie auf hoher See an ihrem Schreibtisch saß und einen Brief schrieb, wähnte sie ihren Mann schlafend hinter sich in der Koje. Plötzlich hörte sie die sich öffnende Kajütentür, aber als sie begriff, was geschah, war es bereits zu spät. Wheelock war im Fieberwahn an Deck gestürzt und warf sich in einem An ug geistiger Umnachtung ins Meer. Elisa machte später die Judsons mitverantwortlich und verbreitete in Kalkutta üble Nachrede über die Missionare. Ann sah sich später gezwungen, den Eltern des armen Wheelock die Wahrheit zu schreiben und vermerkte über Elisa: „[Sie] ist die Wurzel der Bitterkeit, sie bemühte sich, unsere Einheit zu verhindern. Aber nichts desto trotz [...] strengen wir uns an, einen vergebenden Geist zu kultivieren, und ich vertraue darauf, dass wir einen solchen in einem gewissen Maß erlangt haben“ (Anderson, S. 270) k) „Moung“ ist eine Bezeichnung für „junger Mann“ „Ma“ bezeichnet eine(jüngere)Frau. Ein solches Attribut ist jedem burmesischen Namen in Judsons Aufzeichnungen vorangestellt. l) Colmans reisten dennoch nach Chittagong um dort eine Station aufzubauen, die eventuell später als Rückzugsort dienen könnte. Vor Ort entschieden sie sich jedoch für den etwas südlicher und näher an der Grenze liegenden Ort Cox’s Basaar. Colman starb allerdings schon zwei Jahre später 1822.

Quellenangaben

QUELLENANGABEN 1 Brief an Luther Rice, Judson, S. 93; 2 Tagebucheintrag, 16. April 1815; 3 Wayland, S. 169 4 GeorgeHoughinAnderson,S.198 5 Aus dem Missionary Magazin 1818, in Judson, S. 73 6 Wayland, S. 181 7 Judson, S. 122 8 Wayland, S. 294 9 Wayland, S. 216 10 Wayland, S. 217 11 Wayland,S.225 12 Judson,S.568