Zeitschrift-Artikel: "Eine deutsche Eiche"

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Titel: "Eine deutsche Eiche"
Typ: Artikel
Autor: Heinrich Kemner
Autor (Anmerkung):

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Titel

"Eine deutsche Eiche"

Vortext

Der originelle und kantige Pastor Heinrich Kemner wurde 1903 auf einem Bauernhof in Dünne/Westfalen geboren und blieb bis zu seinem Lebensende eng mit der Landwirtschaft und seinem geliebten Minden-Ravensberger Land verbunden. Als junger Mann erlebte er in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg während einer lokalen Erweckung in seiner Heimat eine Bekehrung und wurde nach seinem „Staatsexamen für Landwirte“ Oberinspektor auf dem Rittergut „Turow“ in Mecklenburg- Vorpommern. Wenige Jahre später begann er sein eologie-Studium in Wien, Münster und Bonn. Er wurde früh in der „Bekennenden Kirche“ aktiv, die damals den hitlertreuen „Deutschen Christen“ den Kampf ansagte. Daher stand er auch frühzeitig im Visier der damaligen „SS“. 1937 begann er seinen Dienst als Pfarrer in Ahlden bei Walsrode, wurde aber bald als Soldat eingezogen und entkam nur mit größter Mühe einem SS-Attentat. Nach dem Krieg gründete er 1946 den „Ahldener Jugendtag“, zu dem in den nächsten Jahren Tausende junger Leute unter freiem Himmel zusammen kamen. Unter den erwecklichen Predigten bekannter Verkündiger wie Johannes und Wilhelm Busch, Paul Deitenbeck usw. kamen viele junge Menschen zum lebendigen Glauben an Jesus Christus und wurden in ihrem Glaubensleben gestärkt. 1952 gründete Kemner die lutherisch-pietistische „Ahldener Bruderschaft“ und nach seiner Pensionierung im Jahr 1969 baute er das „Geistliche Rüstzentrum Krelingen“ auf, wo im Lauf der folgenden Jahre u.a. der „Glaubenshof“ (Reha-Zentrum für Drogensüchtige usw.), weitere Häuser zur Betreuung von Alkoholikern und psychisch Kranken, ein Altenheim, eine Gärtnerei und eine große Versammlungshalle für Konferenzen usw. entstanden. Über Kemner wurde gelegentlich geäußert: „Pastor Kemner war im Grunde seines Wesens ein Pfarrer wider Willen.“ Tatsächlich war er ein Dorn im Fleisch der kirchlichen Funktionäre und der liberalen eologen und er scheute sich nicht zu sagen: „Wenn homosexuelle Männer und lesbische Frauen die Kanzeln der Kirche besteigen, dann ist die Gottes nsternis in ihr vollendet.“ Knorrig und kernig war seine Verkündigung – nicht ohne Grund nannte man ihn „eine deutsche Eiche!“ Er war ein begabter, ursprünglicher Evangelist mit einer ausgesprochen seelsorgerlichen Begabung. Aus seiner rei- chen Erfahrung im Umgang mit Menschen aus allen Gesellschafts-Schichten entstand sein Buch „Ratschläge für Seelsorger“. Daraus geben wir die folgende originelle, nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlene Geschichte wieder, die aber auf jeden Fall überdenkenswert ist. Wolfgang Bühne

Text

› Strafe aus Liebe Ich habe oft in seelsorgerlich liebender Härte gehandelt, wenn es notwendig war – vielleicht manchmal auch zu hart. Als junger Oberinspektor auf einem Rittergut in Pommern habe ich einmal meinen Eleven (Praktikanten) so verprügelt, dass er tagelang im Bett liegen musste. Er hatte sich gemeinsam mit den Knechten der Unterschlagung schuldig gemacht und kam doch aus bester Familie. Ich stellte ihn vor die Entscheidung, entweder eine gerichtliche Belangung oder eine körperliche Bestrafung zu bekommen. Er entschied sich für letzteres. Später hat er mir zu Weihnachten, als er selber Administrator geworden war, einen ergreifenden Dankesbrief geschrieben. Darin schrieb er, dass ohne diese Bestrafung wohl die Korrektur einer schweren Gefährdung nicht möglich gewesen wäre. Er bleibe für immer in meiner Schuld. Freilich, wenn nicht Liebe das Motiv der Strafe ist, wird die Korrektur in den meisten Fällen leicht ihren Sinn verfehlen. Härte allein verändert nichts. Einige Male bin ich in der Rehabilitation ähnlich hart gewesen, aber immer mit jener Liebe, die mit Tränen den anderen sucht. In jedem dieser Fälle ist die Härte hilfreich gewesen. In der Zeit meines Pfarramtes hatte ich einmal den Kon rmanden gesagt, sie brauchten keine körperliche Strafe bei mir zu fürchten, nur wenn sie mich wissentlich belögen, würde ich sie mit drei Backpfeifen bestrafen, dienichtvonschwacherHandseien. › Ein verhängnisvoller Schmöker ... Nun war unter den Konfirmanden der einzige Sohn eines Rechtsanwaltes.Er ist heute Staffelkapitän bei der Lufthansa. Damals war er sehr aktiv und leitete eine Jungschar. Der Drang zur Fliegerei war so stark, dass er in der Jungschar nur Fliegergeschichten vorlas. Im Unterricht schöpfte ich den Verdacht, dass er – während die Bibel gelesen wurde – einen Fliegerschmöker unter der Bibel liegen hatte. Ich fragte: „Hast du unter der Bibel ein Buch liegen?“ Er antwortete prompt: “Nein!“ Nachdem ich ihn etwas im Fett schmoren ließ, griff ich plötzlich unter die Bibel und hatte den Schmöker. Die Kinder saßen wie angedonnert. Was würde der Pastor machen? Ich ließ den Jungen nach der Stunde zu mir ins Arbeitszimmer kommen. Während dessen wartete, wie vorauszusehen war, die ganze Kon rmandenschar auf den Ausgang der Dinge. Ich fragte im Arbeitszimmer den Jungen, der mir besonders nahe stand: „Was war das, was du getan hast?“ Er sagte: „Eine Lüge.“ „Was steht darauf?“ Erantwortete:„Strafe!“ „Junge, es wird mir sehr schwer, die Strafeauszuführen.“ Er gab eine Antwort, die ich nicht erwartet hatte und sagte: „Beten!“ „Nun gut, dann wollen wir beten, aber bete du zuerst.“ Er betete: „Herr, gib dem Pastor Kemner die Kraft, dass er mir drei runter haut, Amen.“ Er hatte mich noch mehr matt gesetzt: „Nun wird es mir noch schwerer, dich zu bestrafen.“ „Tun Sie Ihren Gefühlen keinen Zwang an.“ Ich vollzog die Strafe, gab ihm dann einen Kuss auf die Stirn und sagte: „Such dir ein Buch in meiner Bibliothek aus.“ Mit einer knallroten Backe und dem Buch unter dem Arm kam er zu den wartenden Kameraden. Auf die Frage: „Was hat der Pastor getan?“ antwortete er: „Er hat mich bestraft, wie das Gesetz es befahl, aber die Schläge haben dem Pastor weher getan als mir.“ Die Folge dieser Schläge ist eine Anhänglichkeit und Verehrung bis heute.

Nachtext

„Der Heilige Geist verklärt niemals ein menschliches Werk oder einen menschlichen Namen. Nichts steht seinem Wirken so im Wege wie die verborgenen Eitelkeit oder Selbstverliebtheit ... Worauf kommt es also an? Dass unser Leben und Sterben nicht im Vollzug des eigenen Willens, sondern im Vollzug des Willens Gottes liegt. Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Wer diese Wahrheit in Christus ergriffen hat, ist für die Wahrheit frei geworden. Es kommt nicht darauf an, was wir tun, sondern wie wir’s tun und für wen wir’s tun. Lieber wie die Jünger Wasser in leere Gefäße tragen und dann die Stunde Gottes erleben, als wie Kain große Städte bauen und doch im Gericht Gottes enden.“ (Heinrich Kemner, 1973)

Quellenangaben

Aus: Heinrich Kemner „Ratschläge für Seelsorger“, Verlag „Säemann“, S.143–145