Zeitschrift-Artikel: China ist ganz anders Ein Reisebericht

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Titel: China ist ganz anders Ein Reisebericht
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
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Titel

China ist ganz anders Ein Reisebericht

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Text

Zwei sind besser dran als einer! Dieser biblische Grundsatz trifft auch auf Missionsreisen zu. Was hätte ich ohne meinen Freund und Übersetzer Jin Wei in China ausrichten können, als ich am 13.8. dieses Jahres in der Millionenstadt Wenzhou landete. Jin beherrscht neben seiner Muttersprache auch perfekt Deutsch, ist in China aufgewachsen, lebt aber bereits einige Jahre mit seiner Familie in München und trägt Mitverantwortung in der dortigen chinesischen christlichen Gemeinde. Und er hat ein brennendes Herz für unseren Herrn und für seine Gemeinde in China wie auch in Deutschland. Viele Aufgaben lagen vor uns: Verschiedene Gemeinden, Freunde und Ehepaare zu besuchen, die öffentlichen christlichen Buchhandlungen aufzusuchen, um das Angebot von guten christlichen Büchern zu besehen und eventuell für Neuauflagen zu sorgen. Natürlich ging es auch darum, einen Eindruck von der politischen Situation im Land zu bekommen. Besonders in Bezug auf die vielen Gemeinden, zumal in der westlichen Presse in den letzten Monaten viel die Rede von zunehmendem Druck und zunehmender Verfolgung der Christen zu lesen war. Mir ist bewusst, dass man in zehn Tagen keinen objektiven Eindruck von der Situation in diesem riesigen Land bekommen kann, in dem fast ein Fünftel der Menschheit lebt. Eine vorsichtige Schätzung nimmt an, das sich allein in den „Hauskirchen“ (also nicht registrierte, sogenannte „Untergrundkirchen“) mehr als 120 Millionen Christen versammeln, die sich als bibeltreue und wiedergeborene Christen verschiedenster Prägung bezeichnen. Dennoch haben wir uns mit zahlreichen Brüdern aus verschiedenen Provinzen und geistlichen „Lagern“ austauschen können, die über den Rand ihrer näheren Umgebung hinaus Kontakte pflegen, Konferenzen und Bibelunterweisungen besuchen und uns halfen, ein etwas abgerundetes Bild von der Situation zu bekommen. › das Problem mit den Kreuzen... Seit etwa zwei Jahren liest man in christlichen Magazinen, dass die Regierung in China die Kreuze auf den Kirchen mit Gewalt entfernen lässt und schließt daraus, dass eine neue Verfolgungswelle eingeleitet wurde. Diese Nachricht ist zumindest eine Fehlinterpretation. Tatsache ist, dass bisher nur in der Provinz Zhejiang (Küsden. In dieser Provinz, wo sich allerdings sehr viele sowohl registrierte wie auch illegale Kirchen be nden, ist vom zuständigen Parteivorsitzenden, der sowohl Buddhist als auch „Kommunist“ ist, die Entfernung von Kreuzen auf Kirchengebäuden angeordnet worden. Der Befehl ging also nicht von der Regierung in Peking aus, sondern allein von dieser einen Provinzregierung. Dazu muss man wissen, dass die Mentalität der Chinesen dazu neigt, durch äußere Größe Macht und Eindruck zu demonstrieren. Beispiele: In keinem anderen Staat der Welt sieht man so viele hochklassige BMW, Porsche, Mercedes, Audi usw. wie in den Großstädten Chinas. Oder: In Shanghai, mit zur Zeit etwa 24 Millionen Einwohnern, bekommt man den Eindruck, dass jedes Jahr ein neues, riesiges Hochhaus „aus der Erde schießt“, das an Höhe, Größe und Originalität die bisherigen Gebäude übertrifft – als würde es sich um einen Wettbewerb handeln. Ähnlich so ist es auch mit den öffentlichen Kirchen. Besonders in den Außenbezirken der Großstädte fallen diese Kirchen durch ihre enorme Größe von weitem auf. Und wenn dann noch ein großes, rotes Holzkreuz auf dem Kirchturm zu sehen ist, fühlen sich die Kommunisten mit ihren kleinen roten Fähnchen auf den Dächern ihrer Gebäude gehörig provoziert. Das Kreuz höher als die rote Fahne – das darf nicht wahr sein! Wenn dann – wie vor wenigen Tagen geschehen – unter dem Schutz von 500 Polizisten ein Kreuz von einer Kirche entfernt wird, kommt es gelegentlich zu Rangeleien und Prügeleien von aufgebrachten Christen mit den Polizisten, oder zu Schweigemärschen um die Kirchen, die dann für Schlagzeilen in den Tageszeitungen sorgen und damit beweisen, dass beide Parteien die Bedeutung des Kreuzes nicht verstanden haben. › Ein Schuss, der nach hinten losgeht... Tatsache ist, dass die „Hauskirchen“ (Untergrundkirchen)von diesen Aktionen nicht betroffen sind, weil sie nur ganz selten eigene und große Gebäude besitzen, sondern sich meist in gemieteten Häusern, Hotels oder Fabrikräumen versammeln. In einem Fall in der Stadt Wenzhou sogar im Obergeschoss der Polizeibehörde, wo außen ein Schild darauf hinweist, dass der Gottesdienst in der oberen Etage stattfindet! Die „illegalen“ Gemeinden haben interessanterweise zur Zeit weniger Probleme und mehr Freiheit wie die „registrierten“ Kirchen! Interessant ist auch, dass durch diese Aktionen viele echte Christen aus den staatlich kontrollierten „Drei- Selbst-Kirchen“ austreten, weil sie sich vom Staat und der Kirchenleitung betrogen fühlen und sich deshalb den Hausgemeinden anschließen. In einigen Fällen sind sogar ganze registrierte Gemeinden geschlossen aus diesem Verband ausgetreten, so dass diese Aktion mit den Kreuzen an manchen Orten zu einer geistlichen Erweckung geführt hat. Übrigens gibt es überall noch einzelne Kirchen zu sehen, auf deren Turm ein großes Kreuz zu sehen ist, oder solche, die nach dem Abriss drei oder vier Meter unterhalb der Turmspitze neu befestigt wurden. Offensichtlich haben die Christen auch damit keine Probleme bekommen. › „Der äußere Druck trägt zum gesunden Wachstum bei...“ Diesen und ähnliche Sätze haben wir immer wieder von geistlichen Leitern in China gehört und diese Erfahrung haben treue Christen in allen Jahrhunderten in aller Welt gemacht. Ein aktuelles Beispiel aus China: Um einige Fotos von solchen Kirchen zu machen, deren Kreuz entfernt wurde, bat ich unseren Fahrer, von einer Hauptstraße in Wenzhou abzufahren (einer Millionenstadt dieser Provinz mit den wohl prozentual meisten bekennenden Christen in China – ca. 20-30 % der Einwohner!), um solche „beschnittenen“ Kirchen aufsuchen zu können. Nach wenigen Minuten fanden wir auf einer Entfernung von etwa 300 Metern drei große öffentliche Kirchen. Zwei trugen kein Kreuz mehr und eine Kirche hatte ihr Kreuz etwas „erniedrigt“- es war aber deutlich von weitem zu erkennen. Wir betraten den Bereich eines großen Kirchengebäudes ohne Kreuz mit der Aufschrift „Jehova Nissi“ („Gott wird ersehen“), das sicher etwa 800 – 1.000 Besuchern Platz bot. Dort wurden wir auf eine Jugendgruppe von etwa 100 jungen Christen im Alter von ca. 16 – 25 Jahren aufmerksam, die sich auf dem Vorplatz der Kirche in aller Öffentlichkeit versammelt hatten und laut christliche Lieder sangen. Vor ihnen, auf einer kleinen, etwas erhöhten Plattform, knieten etwa 8 – 10 Jugendliche, die in einem stillen Gebet ihre Hingabe an unseren Herrn Jesus erneuerten. Nach etwa fünf Minuten – während weiter gesungen wurde – standen sie auf, um einer weiteren Gruppe Platz zu machen, die sich ebenfalls niederkniete. › Da flossen die Tränen! Es war eine tief beeindruckende Atmosphäre, viele hatten Tränen in den Augen. Schließlich sprach ein älterer Bruder abschließend ein Gebet, indem er kniend einen Arm zum Himmel erhob und mit lauter Stimme rief: „Herr Jesus, wenn auch die Welt und unsere Regierung das Kreuz mit Füßen in den Staub tritt, wir lieben Dich, wir folgen Dir, wir halten Dir die Treue und möchten Dir nachfolgen – schenke uns die Kraft dazu...“ usw. Und dann wieder Liedstrophen wie: Danach ging man schweigend in das Kirchengebäude zurück, wo die Jugendkonferenz fortgeführt wurde – während wir uns im Hintergrund die Augen wischten... › die „little flock-Bewegung“ Einen Tag vor diesem bewegenden Erlebnis wurden wir unerwartet zu einem Leitertreffen dieser Bewegung eingeladen, wo etwa 40 Brüder aus der näheren Umgebung, die vollzeitig dem Herrn dienen, zum Austausch versammelt waren. Das war das erste offizielle Treffen, das wir nach 12 Jahren China-Besuchen mit diesen Gemeinden hatten, die durch den Dienst von Watchman Nee vor 80 – 90 Jahren entstanden sind. Obwohl wir eigentlich nur gekommen waren, um zuzuhören und Eindrücke zu sammeln, wurden uns zwei Stunden lang Fragen gestellt: nach dem Zustand der Gemeinden in Europa, ob dort auch die Schriften von Watchman Nee bekannt seien, wie man dort zur „Kopf- bedeckung“ der Schwestern im Gottesdienst stehe usw. Natürlich kam dann auch die Bitte, eine biblische Botschaft an die versammelten Brüder zu richten: „Wenn Dir der Herr ein Wort für uns gegeben hat...“ Danach blieb nicht mehr viel Zeit, auch unsererseits Fragen an diese aufmerksamen, sehr interessierten Brüder zu richten, die vor einer Woche noch eine Jugendkonferenz mit 500 Teilnehmern in diesen Räumen durchgeführt hatten! So erfuhren wir unter anderem, dass allein in dieser einen Stadt Wenzhou 3.000 (Dreitausend!) dieser Gemeinden mit je 200 – 300 Geschwistern existieren, die ein sehr ausgefülltes Gemeindeleben praktizieren, evangelistisch aktiv sind, aber ansonsten ziemlich isoliert von anderen Gemeinden leben. Inzwischen wünschen sie aber mehr Offenheit und Kontakte. Gerne haben sie unsere Literatur angenommen, die wir ihnen mitgebracht hatten und wir verabschiedeten uns mit dem Eindruck, dass Gott uns eine Tür für viele neue Aufgaben geöffnet hat. › die wirklichen Probleme... Jeden Tag hatten wir in Wenzhou zwischen ein und vier Vorträge über biblische Themen zu halten und es gab zusätzlich täglich Treffen mit Brüdern und Ehepaaren, die sich neben ihrem Beruf intensiv in der Gemeindearbeit oder Evangelisation unter Studenten engagieren. In allen Gesprächen – auch als wir an den letzten beiden Tagen unserer Reise eine junge Gemeinde in Nanjing besuchten – wurde deutlich, dass diese Geschwister beru ich sehr unter Leistungs- und Erfolgsdruck stehen, meist nur 10 Tage Urlaub im Jahr haben, fast täglich abends zu Diensten oder Gemeindestunden unterwegs sind – und darüber sowohl ihre Stille Zeit vor dem Herrn, als auch ihr Ehe- und Familienleben vernachlässigen. Da fast alle Ehepaare beide im Beruf stehen und Teilzeitarbeit nicht üblich ist, bleibt meist auch nur wenig Zeit für das eine oder maximal zweite Kind übrig, welches tagsüber im Kindergarten oder in der Schule betreut und erzogen wird. Daher auch die große Sorge um das geistliche Überleben der nächsten Generation. Sicher war das auch ein Grund, warum man in Nanjing um einen Vortrag zu dem Thema: „Wie können wir in dieser Generation den Glauben bewahren?“ gebeten hat. Inzwischen denkt man vermehrt darüber nach, ob man als Eltern Home-Schooling machen oder als Gemeinde anbieten sollte, damit die Kinder eine gute Prägung bekommen. Tatsächlich ist die „Heimschule“ in China erlaubt, allerdings entstehen für die Schüler Nachteile, wenn es um Weiterbildung geht. Auch „illegale“ christliche Schulen nden immer mehr Zuspruch. › die Saat geht weiter ... Der Besuch einiger christlicher Buchläden machte deutlich, dass ein erstaunlich breites Angebot guter Bücher erhältlich ist. Besonders die Auswahl reformatorischer, calvinistischer und puritanischer Literatur ist sehr gewachsen und wesentlich größer als in deutscher Sprache. Diese Bücher sind alle vom Staat genehmigt und können auch online bestellt werden, worüber sich die Buchhändler natürlich nicht freuen. Jede Menge guter Biogra en und massenweise Bücher zu den Themen Ehe, Familie, Erziehung, Seelsorge usw. findet man dort. Allerdings kaum evangelistische und apologetische Bücher, sowie Bücher zum Thema „Nachfolge“, die wir weiterhin kostenlos und in großer Stückzahl in China verbreiten. › Licht und Schatten Durch den Einfluss calvinistisch-reformatorischer Autoren ist in China das Interesse an biblischer Theologie und Bibelauslegung sehr gewachsen und hat den Ein uss charismatischer Literatur deutlich ausgebremst. Allerdings breiten sich durch diese Literatur auch die Lehren der „Ersatz-“ oder „Bundestheologie“ mancher Calvinisten aus, in welchen z.B. die Entrückung der Gemeinde, die Zukunft Israels, das Tausendjährige Reich usw. geleugnet oder allegorisiert werden. Leider kann man auch in Verbindung damit eine etwas elitäre Haltung beobachten und eine Betonung politischer und gesellschaftsverändernder Verantwortung – oft auf Kosten der Evangelisation und Mission. Daher ist es uns ein großes Anliegen, für die Verbreitung ausgewogener erbaulicher und erwecklicher Literatur zu sorgen, in welcher der Segen einer Hingabe an den Herrn und eines Lebens zu Gottes Ehre vorgestellt und liebgemacht wird. China ist ein unglaublich großes und fruchtbares Erntefeld. Bitten wir den Herrn der Ernte, treue und hingegebene Arbeiter für diesen wichtigen Dienst auszurüsten und auszusenden! Betet bitte für China!

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Quellenangaben