Zeitschrift-Artikel: Nur ein Missverständnis? Zum Vatikan-Video: "Gebetsmeinungen des Heiligen Vaters für Januar 2016"

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Titel: Nur ein Missverständnis? Zum Vatikan-Video: "Gebetsmeinungen des Heiligen Vaters für Januar 2016"
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
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Titel

Nur ein Missverständnis? Zum Vatikan-Video: "Gebetsmeinungen des Heiligen Vaters für Januar 2016"

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Vor wenigen Wochen veröffentlichte der Vatikan eine Video-Botschaft des Papstes Franziskus. Sie wurde durch die Medien weit verbreitet und gab Anlass zu vielen Diskussionen und Irritationen. Diese nur 80 Sekunden kurze Video-Botschaft ist eindeutig und unmissverständlich: Er wirbt glasklar für den Dialog zwischen den verschiedenen Weltreligionen, die von vier Personen repräsentiert werden: Eine Buddhistin („Ich setze mein Vertrauen in Buddha“), ein Jude („Ich glaube an Gott“), ein Moslem („Ich glaube an Gott, Allah“) und ein katholischer Priester („Ich glaube an Christus“). Sie alle bekennen ebenfalls: „Ich glaube an die Liebe!“, was von Franziskus in kurzen Szenen mit Umarmungen verschiedenster Religionsvertreter dokumentiert wird. Unterstrichen mit den Worten: „Wir sind alle Kinder Gottes!“ und „Sie alle suchen und nden Gott auf unter­ schiedliche Weise.“ Am Ende dieser kurzen Botschaft legen die vier Religionsverteter die Symbole ihres jeweiligen Glaubens übereinander: eine Buddha-Figur, einen siebenarmigen Leuchter (Menora), eine moslemische Gebetskette und eine Puppe, die das „Jesus-Kind“ darstellen soll. Auffällig, dass an letzter Stelle nicht das Kreuz als Zeichen des christlichen Glaubens, als Ärgernis und Ende aller Religiösität gewählt wurde. › „Evangelikale“ Katholiken – was nun? Es gibt - Gott sei Dank! - nicht wenige Männer und Frauen in Deutschland, die sich als „evangelikale“ Katholiken bezeichnen oder so bezeichnet werden, und die mit Leidenschaft dafür eintreten, dass nur Jesus Christus der einzige Weg zum Vater ist und dass alle Menschen der Erlösung bedürfen, um Kinder Gottes sein zu können. So wurde z.B. letztens Bernhard Meuser, der Initiator des in zahlreichen Sprachen übersetzten und au agenstarken „YOUCAT“ (katholischer Jugendkatechismus, 6 Mill. Au age!) in idea 2/2016 zitiert: „Die Neuevangelisierung der Kirche können wir Katholiken in der Pfeife rauchen, wenn wir uns nicht endlich zur Bibel bekehren, sie lieben, sie lesen, uns von ihr führen lassen, aus ihr leben.“ Evangelikale Christen hätten auch gar keinen Grund mehr, sich von ‚Rom‘ zu distanzieren, wenn sie entdeckten, „dass die katholische Kirche eine vom Wort Gottes bewegte, erschütterte und bekehrte Jesusbewegung ist.“ Wie kann man diese deutlichen Worte mit dem aktuellen Werbevideo des Papstes für den „religiösen Dialog“ und dem Bekenntnis „Wir alle sind Kinder Gottes“ in Übereinstimmung bringen? › Die „Hermeneutik des Wohlwollens“ Johannes Hartl, ein in den letzten Jahren auch in evangelikalen Kreisen und Großveranstaltungen gern und oft eingeladener katholischer Theologe aus der charismatischen Gemeindeerneuerung (Autor und Leiter des „Gebetshauses“ in Augsburg), versucht mit einer „Her­meneutik des Wohlwollens“ diesen Knoten zu lösen: Zunächst bemüht er sich nachzuweisen, dass „dieses Video nicht wirklich sagen will, was es auf den ersten Blick auszudrücken scheint“. Ihm ist klar, dass die Aussagen des Papstes im Licht der Bibel „erklärungsbedürftig“ sind und weist darauf hin, dass Franziskus im Jahr 2013 in seiner Enzyklika „Evangelii gaudium“ die „Zentralität Jesu“ sehr ausdrücklich bekannt habe und daher dieses Video unmöglich im Sinne eines „synkretistischen ‚alle Religionen führen zu Gott‘“ verstanden werden könne. Erfreulich deutlich und biblisch bekennt J. Hartl: „Der Mensch rettet sich eben nicht selbst, indem er an die Liebe glaubt, sondern es bedurfte des gekreuzigten und auferstandenen Erlösers, um Menschen zu versöhnten Kindern Gottes zu machen!“ Aber dennoch versucht er mit einer etwas kläglich anmutenden und wenig überzeugenden Vermutung das Problem zu lösen: „Im Sinne der ‚Hermeneutik des Wohlwollens‘ muss man davon ausgehen, dass an Text und Gestaltung viele Hände mitgewirkt haben, vielleicht auch solche, denen die Wichtigkeit einer sorgfältigeren Differenzierung weniger bewusst war.“ › Ist Franziskus wirklich so naiv? Franziskus ist durch seine Provokationen und seinen Pragmatismus in den vergangenen drei Jahren seines Amtes zum Leidwesen vieler katholischer Kleriker oft unangenehm aufgefallen. Aber ihm Ober ächlichkeit oder gar Naivität zu unterstellen, scheint mir tatsächlich naiv zu sein. Immerhin hat Franziskus nicht nur jahrelang Theologie, Psychologie und Literatur studiert, sondern er ist vor allem erklärter Jesuit und war in Argentinien viele Jahre Novizenmeister und Provinzial des Jesuitenordens. Jesuiten sind intellektuelle Pragmatiker und genau das scheinen die Merkmale dieses Papstes zu sein, der sich als „Brückenbauer“ versteht und sehr wohl weiß, was er zu wem sagen und wie weit er gehen kann. „Eine Hermeneutik des Wohlwollens“ ist sicher eine wichtige und leider oft von uns vernachlässigte Disziplin. Aber sie darf nicht dazu führen, in jesuitischer Manier die Wahrheit zu verschleiern oder die Unwahrheit „zu schminken“. Franziskus geht konsequent seinen Weg, nicht nur die Christenheit zu einigen, sondern auch alle Religionen auf einen Nenner und unter ein Dach zu bringen. Eine enorme Herausforderung für alle Protestanten. Das Reformationsjahr 2017 dürfte spannend werden!

Nachtext

Quellenangaben