Im August dieses Jahres wurde es endlich möglich, Samuel Lamb in Guangzhou zu besuchen und kennen zu lernen. Wir hatten schon viel von diesem unerschrockenen Prediger des Evangeliums gehört, dessen Name in ganz China und weit darüber hinaus bekannt ist. Guangzhou ist eine große Stadt im Süden Chinas (siehe Karte) mit etwa 10 Millionen Einwohnern, bekannt als Industrie-Stadt, in der die größten Messen Chinas stattfinden. Mitten in dieser Stadt, in der Nebenstraße „Ronggui Li“, befindet sich ein altes mehrstöckiges Haus, in dem sich in aller Öffentlichkeit die „Untergrundkirche“ versammelt, welche durch die Arbeit von Samuel Lamb entstanden ist. Jede Woche kommen hier etwa 1.600 Christen zu der Predigt von Samuel Lamb, der jede Botschaft viermal verkündigt, weil die Räume in den drei Etagen des Altbaus „nur“ etwa 400 Besuchern Platz bieten. Dort sitzen die Zuhörer wie die Sardinen eng zusammengepfercht, wobei auf zwei Etagen die Predigt per Video-Übertragung mitverfolgt wird.
Pulsierendes Gemeindeleben Jeden Sonntag-Abend findet hier zusätzlich das Abendmahl statt - mittwochs die Gebetsstunde. Donnerstags ist Evangelisation und Freitags werden Hausbesuche gemacht. Alle 14 Tage wird ein Taufunterricht durchgeführt, denn jedes Jahr werden etwa 300 Neubekehrte getauft. Die Gemeinde besteht zum größten Teil aus jungen Geschwistern, die mit großem Interesse der Verkündigung von Samuel Lamb zuhören, der mit seinen immerhin schon 82 Jahren fast dreimal so alt ist wie die meisten Zuhörer. Wir trafen diesen quicklebendigen und immer fröhlichen Bruder während der Mittagspause in der „Ronggui Li“ und er erzählte uns gerne aus seinem Leben, wobei fast jeder zweite Satz von ihm mit einem fröhlichen „Hallelujah!“ oder „Praise the Lord!“ bekräftigt wurde.
Ein „Nasir“ Gottes! 1924 wurde er in Macao geboren und sein Vater gab ihm den Namen „Li Xian Gao“, was übersetzt bedeutet „das Gott geopferte Lamm“. Daher sein englischer Nachnahme Lamb. Später wurde der Vorname Li in Samuel geändert. Samuel kam als junger Mann zum Glauben und begann, sich jeden Morgen Abschnitte aus der Bibel einzuprägen. Im Alter von 18 Jahren kannte er bereits die Paulus-Briefe von Römer bis Hebräer auswendig. Zusätzlich einige Psalmen, Jesaja 53, die Bergpredigt und Joh 14-17. Damals ahnte er noch nicht, wie dankbar er später im Gefängnis sein würde, dass sein Herz und Verstand mit Gottes Wort gefüllt wurde. 1955, nur wenige Jahre später, nachdem die Kommunisten die Macht in China übernommen hatten und die Christen unter Druck setzten, wurde Samuel zunächst zu 16 Monaten verurteilt und schließlich musste er von 1958-1978 zwanzig Jahre hinter Gefängnismauern oder im Straflager verbringen. Er wurde als „Konter- Revolutionär“ verhaftet und verurteilt, weil er jeden Sonntag in Guangzhou öffentlich das Evangelium verkündigt hatte. Für ihn und seine Mitstreiter kam die Verhaftung nicht unerwartet, sie hatten damit gerechnet. Ihr Rucksack war gepackt...
Über 21 Jahre im Gefängnis In der gesamten Haftzeit hatte Samuel Lamb keine Bibel. Aber in dieser für uns unvorstellbar langen Zeit zehrte er von dem, was er in jungen Jahren auswendig gelernt hatte. Unter diesen schweren Umständen entstanden die meisten seiner 40 Lieder, der er gedichtet und zum großen Teil später auch vertont hat. In den ersten Jahren seiner Haft traf er einen ebenfalls inhaftierten Baptisten-Prediger, der es irgendwie geschafft hatte, ein Neues Testament mit ins Gefängnis zu schmuggeln. Samuel lieh es sich aus, um es abzuschreiben, wurde aber dabei erwischt und zur Strafe für 15 Jahre in eine Kohlen-Mine im hohen Norden Chinas verbannt. Bei der harten und gefährlichen Arbeit unter Tage haben viele Mithäftlinge Finger, Zehen und oft genug das Leben verloren. Doch der Herr hat ihn auch in diesen schweren Jahren vor Unfällen bewahrt, so dass er heute noch brillant Klavier spielen kann – am liebsten Beethoven-Sonaten. Zwei Jahre vor seiner Entlassung bekam er eine schockierende Nachricht - der Tod seiner Frau wurde ihm mitgeteilt.
Ein neuer Anfang Kaum aus dem Gefängnis, begann Samuel Lamb wieder in Guangzhou das Evangelium zu verkündigen. Im ersten Jahr nach der Haft kamen vier junge Leute zum Glauben und wurden getauft. Gott segnete das Zeugnis dieser kleinen Schar und so wuchs die Gemeinde auf etwa neunhundert Geschwister im Jahr 1989. Natürlich kam es immer wieder zu Verhören, Hausdurchsuchungen und Störungen. Da aber Samuel Lamb inzwischen ein Prediger war, der durch seine lange Haftzeit auch im Ausland bekannt wurde, blieben Verhaftungen aus. 1988 war der Astronaut James Irving zu Gast, Delegationen aus dem Weißen Haus übergaben einen Kugelschreiber mit einer Gravur von Ronald Reagan und immer wieder kamen Journalisten von bekannten Zeitschriften und Magazinen aus dem Ausland oder auch Rundfunk-Reporter, um Samuel Lamb zu interviewen und den Westen über die Situation der „Untergrund-Kirchen“ in China zu informieren. Dennoch wurde im Jahr 1990 plötzlich das Gemeinde-Haus von 50 bis 60 Polizisten umstellt, alle Literatur, Gesangbücher, die gesamte Technik, Tausende von Predigt-Cassetten wurden beschlagnahmt und das Gebäude geschlossen. Es gab ein 21-stündiges Verhör, bei dem um Mitternacht einer der Beamten fragte: „Onkel Lamb, gibt es wirklich einen Gott?“ 1992 wurden bei Samuel Lamb und seinen Mitarbeitern einmal 15.000 Bibeln und Gesangbücher konfisziert und dennoch wuchs die Gemeinde nach jedem Rückschlag um so mehr.
„Je mehr Druck, um so mehr Wachstum, Hallelujah!“ Mit dieser optimistischen Einsicht kommentierte Onkel Samuel Lamb lachend die vergangenen Jahre. In den letzten Jahren ist es ruhiger geworden. 2003 kamen noch einmal drei Polizisten und unter- brachen seine Predigt für einige Minuten, beanstandeten aber nur, dass in dem Gebäude keine Feuerlöscher installiert und keine Notausgänge vorhanden waren. Die anwesenden Geschwister sagten: „Gott bewahrt uns! Glaubt ihr an Jesus?“ Inzwischen rechnet er nicht mehr mit einer Verhaftung: „Einen 81jährigen Opa nehmen die nicht mehr mit“, meinte er schmunzelnd. Die 150 Broschüren, die er zu allen möglichen biblischen und aktuellen Themen geschrieben hat, sind zu Tausenden in den Holzbänken der Gemeinderäume verstaut. Darunter auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem auch in deutscher Sprache erschienenen Buch „Der Himmelsbürger“ („The Heavenly Man“), vor dem Samuel Lamb und mit ihm viele weitere geistliche Führer in China warnen. Samuel Lamb ist es ein Anliegen, dass in China ein unverkürztes Evangelium verkündigt und die Gemeinde vor Irrlehren und Irrlehrern bewahrt wird. Dafür lebt er, dafür predigt er und dafür schreibt er. Ihm ist bewußt, dass die relative, eingeschränkte Freiheit und der zur Zeit mäßige Druck für das Gemeindeleben gesünder sind als die staatliche Anerkennung. Bisher waren Zeiten der Verfolgung immer Zeiten des Segens und des geistlichen Wachstums. Beten wir, dass es so bleibt. ■
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