Zeitschrift-Artikel: Wenn das gemeinsame Essen "unter den Tisch fällt"

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Titel: Wenn das gemeinsame Essen "unter den Tisch fällt"
Typ: Artikel
Autor: Elisabeth Weise
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Titel

Wenn das gemeinsame Essen "unter den Tisch fällt"

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Text

So viel Essen! Sie müssen wirklich jeden Tag für Ihre Familie kochen? Ach, Sie Arme!“ Die Frau schaute ihre gläubige Nachbarin mitleidig an, die gerade vom Einkaufen gekommen war und einen ganzen Berg Lebensmittel aus ihrem Auto auslud. „Ich bin froh, dass ich nur am Wochenende zu kochen brauche,“ fügte sie noch hinzu, „das reicht mir völlig. Unter der Woche bleibt die Küche bei uns kalt.“ Ein Beispiel, das einen Trend aufzeigt. Familien verbringen immer weniger Zeit zusammen und da jedes Familienmitglied bereits in der Kantine, der Schule oder der Kita mit einer warmen Mahlzeit versorgt werden kann, wird auch weniger gemeinsam gegessen. Eine große Anzahl Menschen sitzt dabei auch nicht mehr am Tisch, sondern nimmt den Teller Nudeln einfach mit zum Sofa. Bei vielen läuft nebenher der Fernseher oder jeder ist mit seinem Handy beschäftigt. Die „to-go“-Kultur ist überall auf dem Vormarsch. Meine Kinder berichten – manchmal mit einem Anflug von Neid – von Schulkameraden, die morgens länger schlafen können, weil es zu Hause kein Frühstück, dafür aber auf dem Schulweg ein Heißgetränk und ein belegtes Brötchen vom Bäcker gibt. Jede Hausfrau weiß, wie viel Zeit, Geld und Kraft im Bereich „Essen“ steckt. Wäre es da nicht wirklich praktisch, hier Ressourcen zu sparen, indem wir seltener als Familie zusammen essen und weniger Besuch haben? „Ich frage mich manchmal, ob ich wirklich heiraten und eine eigene Familie haben will“, sagte neulich eine junge Single-Frau zu mir. „Wenn ich daran denke, dann immer für alle kochen zu müssen! Was für eine Zeitverschwendung! Ich möchte mein Leben eigentlich in etwas Sinnvolleres investieren.“ Diese Bemerkung war für mich der Anlass, einmal über das Thema „kochen und gemeinsam essen“ nachzudenken. Gebratene Hähnchen fliegen nicht durch die Luft Als erstes ist mir aufgefallen, dass Gott die meisten essbaren Dinge so geschaffen hat, dass der Mensch sie nicht sofort zu sich nehmen kann, sondern in ihre Zubereitung Zeit und Arbeit investieren muss. Getreide muss gemahlen und weiterverarbeitet werden, viele Gemüsesorten sind nur gekocht genießbar, Obst muss gewaschen und geschält werden, Tiere müssen geschlachtet und ihr Fleisch zubereitet werden. Dass der Mensch auf Nahrung angewiesen ist und Zeit benötigt, sie zu beschaffen, zuzubereiten und zu essen, muss vom Schöpfer so gewollt und eingeplant gewesen sein. Er hätte es ja auch so einrichten können, dass wie im Schlaraffenland die fertig gebratenen Hähnchen durch die Luft fliegen! Nein, anscheinend sollte ein gewisses Maß an Anstrengung damit verbunden sein. Und wir haben es da schon deutlich bequemer als die Generationen vor uns, die sich viel mehr mühen mussten, um eine Mahlzeit auf den Tisch zu bekommen. Gemeinsame Mahlzeiten in der Bibel Wer die Bibel auf dieses Thema hin untersucht, ist überrascht, von wie vielen gemeinsamen Mahlzeiten hier berichtet wird und wie viele entscheidende Gespräche beim Essen stattfanden. So spielt das Essen in vielen Gleichnissen der Evangelien eine wichtige Rolle, denken wir nur an das Festmahl, das der Vater für seinen heimgekehrten Sohn veranstaltete1 oder an das Hochzeits-Essen, das der König für seine Gäste vorbereitete2. Aber auch unseren Herrn treffen wir häufig bei Mahlzeiten an. Seine Salbung im Hause Simons beispielsweise geschah während eines Essens.3 Allgemein war Jesus bekannt dafür, „mit Zöllnern und Sündern zu essen“.4 Er wurde anscheinend öfters zum Essen eingeladen: Levi machte dem Herrn ein großes Mahl in seinem Haus5, Maria, Marta und Lazarus luden Jesus zu einem Abendessen ein6 und auch die Emmaus-Jünger nötigten den unbekannten Wanderer, den sie erst später als den Herrn erkannten, zum Abendbrot in ihr Haus.7 Eingeladen von Ihm Aber der Herr Jesus war nicht nur Gast am Tisch anderer, er ist auch selbst Gastgeber gewesen: Zweimal ließ er, innerlich bewegt über die hungrige Volkmenge, die Menschen sich lagern und versorgte sie mit Brot und Fisch.8 Vor seinem Tod sehnte er sich danach, das Passamahl zusammen mit seinen Jüngern zu essen und wählte einen gemütlichen Obersaal aus, damit diese besondere Mahlzeit ungestört stattfinden konnte.9 Der Verrat des Judas traf ihn auch deswegen so hart, weil Judas bei dieser vertrauten Mahlzeit mit dabei gewesen war: „Selbst mein Freund, auf den ich vertraute und der mein Brot aß, hat die Ferse gegen mich erhoben.“10 Nach seiner Auferstehung bereitete der Herr für seine erschöpften Jünger ein Frühstück am See zu und nutzte diese Gelegenheit für das bekannte „Hast-Du-mich-lieb-Gespräch“ mit Petrus.11 Und bis heute lädt er uns Gläubige zu seinem Tisch ein, wo wir angesichts von Brot und Wein besondere Gemeinschaft mit ihm und untereinander genießen dürfen.12 Gott weiß, wie wichtig Nahrung für uns Menschen ist. „Steh auf und iss“, sagte der Engel dem körperlich und emotional erschöpften Elia und zeigte ihm die auf heißen Steinen gebackenen Brotfladen und den Krug mit frischem Wasser.13 Ja, Gott selbst möchte uns „einen Tisch angesichts unserer Feinde bereiten“14, so dass wir „schmecken und sehen“ können, „wie gütig er ist“.15 Und sie aßen zusammen Im Alten Testament gibt es unzählige Begebenheiten und Gespräche beim Essen: Josef bewirtete seine Brüder in Ägypten mit einem fürstlichen Essen16, Esther wählte ein Mahl in kleiner Runde in ihrem Haus, um den bösen Haman zu entlarven17 und die Frau von Schunem „nötigte Elisa, bei ihr zu essen“18. Interessant ist auch die Beobachtung, dass alle Menschen, die Besuch vom Engel des Herrn bekamen, diesen bewirten wollten. Wir sehen das bei den Eltern von Simson19, bei Gideon20 und auch bei Abraham21. Sicherlich, weil das Zubereiten einer Mahlzeit ein Ausdruck von Wertschätzung und Respekt gegenüber der eingeladenen Person ist. Wenn dies für Gäste und sogar für Feinde gilt (die wir speisen sollen, wenn sie Hunger haben22), wie viel mehr für unsere eigene Familie! Laut Sprüche 31 gehört es zu den Aufgaben der tugendhaften Frau, „ihrem Haus Speise zu geben“23. Bis heute sind es in erster Linie wir Frauen, die für diesen Aufgabenbereich verantwortlich sind. Was so alles am Tisch passiert So wie der Tisch in der Bibel einen großen Stellenwert hat, so ist auch der Tisch jeder Familie der Mittelpunkt ihres Alltags. In Psalm 128 wird der Mann glücklich gepriesen, dessen Söhne „wie Ölbaumsprossen rund um seinen Tisch“ sitzen. Am Familientisch werden die größten Neuigkeiten erzählt und die wichtigsten Themen besprochen. Kein Wunder, denn gemeinsames Essen bedeutet mehr als reine Sättigung: Es bedeutet Liebe, Kommunikation, Gemeinschaft, Erholung und Genuss. Ein nicht unwichtiger Teil der Erziehung unserer Kinder findet bei Tisch statt, denn hier lernen sie Zuhören, Benehmen, Verzicht, Dankbarkeit und Wertschätzung. Gebet, Lied und Gottes Wort runden eine Mahlzeit ab. Jesus dankte, bevor er den hungrigen Menschen Brot und Fisch brach und er sang ein Loblied mit seinen Jüngern, bevor er vom Passahmahl aufstand, um in den Garten Gethsemane zu gehen. Viel geistliches Leben werden unsere Kinder am Tisch mitbekommen. Die Stunden der Vorbereitung für diese gemeinsamen Mahlzeiten sind also nicht verloren, sondern können ein Gottesdienst sein. Eine zufriedene Mutter in der Küche ist ein großer Segen für eine Familie – und für alle anderen Menschen, die in ihrem Haus sind. Sicher sollen wir bewusst überlegen, wie viel Zeit, Geld und Energie wir in die Dinge des täglichen Lebens stecken möchten. Es muss nicht jeden Tag das Drei-Gänge-Menü sein, denn auch in diesem Bereich gibt es ein „zu viel“. Manchmal ist vielleicht eine andere Aufgabe dringlicher, so dass es auch mal eine Tiefkühl-Pizza oder einen schnellen Stopp beim goldenen „M“ geben darf. Aber wenn wir Frauen nicht bereit sind, dem biblischen Vorbild zu folgen und Zeit und Energie in den Bereich der gemeinsamen Mahlzeiten zu investieren, werden unsere Familien und Gemeinden um so vieles ärmer werden! Wie oft schon hat ein schmackhaftes Essen den passenden Rahmen für ein seelsorgerliche Gespräch oder eine geistliche Zurechtbringung geboten? Wie viele Menschen haben zu Christus gefunden, weil sie die Gastfreundschaft einer gläubigen Familie genossen haben? Von einem Prediger hörte ich die scherzhafte Vermutung, dass wahrscheinlich mehr Menschen durch die Zimtschnecken seiner Frau, als durch seine Predigten gläubig geworden seien. „Zu Tisch, bitte!“ Doch damit wir das erleben, sind Frauen nötig, die bereit sind, gegen den Trend zu leben und freudig die oft wenig geschätzte Küchenarbeit zu verrichten. Gemeinden brauchen Mütter, die samstags nicht nur für ihre eigene Familie kochen, sondern auch so viel Essen vorbereiten, dass sich am Sonntag nach dem Gottesdienst eine größere Runde zu geschwisterlicher Gemeinschaft zusammenfinden kann. Und es braucht junge Schwestern, die sich nicht zu schade sind, neben Formeln und Fremdsprachen auch kochen zu lernen. Als Petrus eine längere Zeit im Haus des Gerbers Simon zu Besuch war, hatte er viel Zeit zum Gebet. Ich denke, dass er sich in diesem gastfreien Haus sehr wohlfühlte, weil er sich keine Sorgen um die Dinge des täglichen Lebens zu machen brauchte. „Er wurde aber hungrig und verlangte zu essen.“24 Petrus konnte einfach genießen, was die Frau Simons (so stelle ich es mir vor), ihm zubereitete. Ob Gott nur seinem Diener nahe war, der oben auf dem Flachdach des Hauses Zeit zum Gebet hatte, oder ob er nicht auch seine Dienerin gesehen hat, die ein Stockwerk tiefer in der Küche ihren Beitrag zu dieser wichtigen Begebenheit der Heilsgeschichte leistete? „Wer einen Propheten aufnimmt in eines Propheten Namen, wird eines Propheten Lohn empfangen“.25 Vielleicht hätte die gläubige Frau ihre Bekannte, die so erstaunt den großen Einkauf begutachtete, einfach spontan zum Essen einladen sollen. Denn einen gedeckten Tisch mit jemandem zu teilen, ist vielleicht die einfachste und zugleich liebevollste Art, die Botschaft des Evangeliums darzustellen.

Nachtext

Quellenangaben

Lk 15,22–23 Mt 22,4 Mk 14,3–9 Lk 15,2–3 Lk 5,29 Joh 12,2 Lk 24,29–30 Mk 6,34–44 Mk 14,12–16 Ps 41,10 Joh 21,12–15 1Kor 10,16–17 1Kö 19,5–7 Ps 23,5 Ps 34,8 1Mo 43,33 Est 5,4 + 7,1 2Kö 4,8 Ri 13,15 Ri 6,17–19 1Mo 18,1–5 Spr 25,21 Spr 31,15 Apg 10,10 Mt 10,41