Zeitschrift-Artikel: Disziplin zum Gebet

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Titel: Disziplin zum Gebet
Typ: Artikel
Autor: J. Sidlow Baxter
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 2509

Titel

Disziplin zum Gebet

Vortext

Dr. J. Sidlow Baxter zeigte einmal einer Gruppe von christlichen Leitern, die Fragen bezüglich des Gebets
stellten, eine Seite aus seinem eigenen „Dienst“-Tagebuch. Er begann ihnen zu erzählen, wie er 1928 seinen
Dienst mit dem Vorsatz begonnen hatte, der „methodistisch-baptistischste“ Pastor aller Zeiten zu werden
– ein wirklicher Mann des Gebets. Kurz nachdem seine Verantwortung im Dienst anfing und die administrativen
Verpflichtungen zunahmen, begannen die vielen kleinen Ausflüchte im Leben eines Pastors das
Gebetsleben zu verdrängen. Das ging so weit, dass er sich allmählich an diesen Zustand gewöhnte und
ausreichend Gründe fand, sich zu entschuldigen. Doch eines Morgens, als er vor seinem mit Arbeit beladenen
Schreibtisch stand und auf seine Uhr sah, kam schließlich die Wende. Die Stimme des Heiligen Geistes
rief ihn zum Gebet. Zugleich aber machte sich eine andere Stimme schmeichelnd und sanft bemerkbar und
drängte ihn, doch vernünftig zu sein und besser die Briefe zu beantworten. Er sollte sich endlich eingestehen,
dass er eben keiner von der „geistlichen Sorte“ sei – nur einige wenige waren dazu berufen. „Dieser
letzte Gedanke“, sagt Baxter, „saß wie ein Dolchhieb. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass das
wahr sein sollte.“ Er war entsetzt darüber, dass er fähig dazu war, die Grundlage der Vitalität und Kraft seines
Dienstes durch rationale Argumente zunichte zu machen. An diesem Morgen blickte Sidlow Baxter tief
in sein Herz hinein und bemerkte, dass sich in ihm ein Teil befand, der beten wollte – ein anderer hingegen
nicht. Der unwillige Teil waren seine Gefühle, der willige sein Verstand und Wille. Diese Erkenntnis ebnete
den Weg zum Sieg. Dr. Baxter beschreibt dies auf seine eigene, unnachahmliche Weise:

Text

Die Gefühle und das Gebet
„Wie nie zuvor standen mein Wille und ich selbst einander gegenüber, Auge in Auge. Ohne Umschweife stellte ich meinem Willen die Frage: ‚Wille, bist du bereit zu einer Stunde Gebet?‘ Wille antwortete: ‚Hier bin ich, und ich bin durchaus bereit, wenn du es bist.‘ Wille und ich reichten uns die Hände und drehten uns um, um eine Zeit des Gebets zu halten. Mit einem Mal begannen alle meine Gefühle in die andere Richtung zu ziehen und protestierten: ‚Wir kommen nicht mit!‘ Ich sah Wille ein wenig zögern, so fragte ich: ‚Wille, schaffst du es trotzdem?‘, und Wille erwiderte: ‚Ja, wenn du es schaffst.‘ So wandte sich Wille von neuem zum Gebet, wobei wir die sich windenden und aufsässigen Gefühle in uns mitzogen. Von Anfang bis Ende war es ein Kampf. Einmal, als Wille und ich uns inmitten einer ernsthaften Fürbitte befanden, entdeckte ich plötzlich, dass eines dieser treulosen Gefühle meine Phantasie mit sich genommen und zum Golfplatz entführt hatte – nur mit Mühe konnte ich den ungehorsamen Bösewicht wieder einfangen. Wenig später stahl sich ein anderes Gefühl mit einigen unbewachten Gedanken auf die Kanzel, zwei Tage vor der Zeit, um eine Predigt zu halten, deren Vorbereitung ich noch nicht abgeschlossen hatte! Hätte mich jemand am Ende dieser Stunde gefragt: ‚Hattest du eine ›gute Zeit‹?‘, so hätte ich antworten müssen: ‚Nein, es war vom ersten bis zum letzten Augenblick ein ermüdender Kampf mit widerstrebenden Gefühlen und einer umherschweifenden Phantasie.‘ Aber es kam noch schlimmer, denn der Kampf mit den Gefühlen tobte noch zwei oder drei weitere Wochen. Hätte man mich nach dieser Phase gefragt: ‚Hattest du eine ›gute Zeit‹ in deinen täglichen Gebeten?‘, so hätte ich bekennen müssen: ‚Nein, manchmal war der Himmel wie Erz, Gott wirkte zu weit entfernt, um mich zu hören, der Herr Jesus schien auf seltsame Weise unnahbar und meine Gebete bewirkten anscheinend nichts.‘ Und dennoch war etwas geschehen. Einerseits konnten Wille und ich den Gefühlen beweisen, wie völlig unabhängig wir von ihnen waren. Und eines Morgens, etwa zwei Wochen nachdem der Wettstreit begonnen hatte – Wille und ich hatten uns gerade wieder zum Gebet vereinbart, bekam
ich zufällig mit, wie eines meiner Gefühle den anderen zuflüsterte: ‚Kommt schon, Leute, es hat keinen Sinn, weiteren Widerstand zu leisten; sie gehen ja trotzdem.‘ An diesem Morgen waren die Gefühle zwar weiterhin völlig unkooperativ, aber sie verhielten sich zum ersten Mal ruhig, weshalb Wille und ich ohne Ablenkung beten konnten. Und was glaubst du, geschah einige Wochen später? Während einer unserer Gebetszeiten, als Wille und ich ungefähr so intensiv an meine Gefühle dachten wie an den Mann im Mond, sprang einer der feurigsten Burschen unerwartet auf und rief: ‚Halleluja!‘, worauf alle anderen einstimmten: ‚Amen!‘ Und zum ersten Mal war mein ganzes Wesen – Verstand, Wille und Gefühle –
vereint zu wohlkoordinierter Gebetsarbeit.“

Nachtext

Quellenangaben

Aus dem vergriffenen Buch von R. Kent Hughes: „Mann mit
Profil“, mit freundlicher Genehmigung des CV-Dillenburg