Zeitschrift-Artikel: "Miles & More" - Impressionen aus Mittelamerika

Zeitschrift: 130 (zur Zeitschrift)
Titel: "Miles & More" - Impressionen aus Mittelamerika
Typ: Artikel
Autor: William Kaal
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 3533

Titel

"Miles & More" - Impressionen aus Mittelamerika

Vortext

Text

Wie in den vergangenen Jahren reisten Wolfgang Bühne und Alois Wagner in diesem Frühjahr wieder nach Mittelamerika, um verschiedene Geschwister dort zu ermutigen und finanzielle Hilfe von treuen Spendern weiterzugeben. In diesem Jahr hatten Daniel Simon und ich die Möglichkeit, die Brüder auf ihrer Reise zu begleiten und dadurch prägende Einblicke in die Situation der Christen in diesen Ländern zu bekommen. Hier einige Streiflichter unserer Reise:

Kuba: Kaffee, Königspalmen, Kommunismus ...

Nachdem wir erstaunlich schnell und reibungslos die kubanische Zollkontrolle passiert hatten (die Beamten nahmen uns lediglich eine deutsche Wurst ab), wurden wir am Flughafen von Havanna von zwei kubanischen Freunden abgeholt. Jorge-Luis Rodriguez, der vollzeitig im Dienst der Gemeinden steht, war mit seinem 55 Jahre alten „Evangeliumsauto“ gekommen, das letztes Jahr mit Hilfe von Spenden angeschafft worden war, und hatte noch Miguel, einen jüngeren Bruder aus seiner Gemeinde, dabei. Die anschließende beengte Fahrt zu sechst nach El Gabriel mit unseren zahlreichen Gepäckstücken hat uns schon am ersten Abend einen lebendigen Einblick in mittelamerikanische Logistikmöglichkeiten gegeben. Als wir bei Jorge-Luis, Miriam und ihren beiden Kindern angekommen waren, konnten wir gleich unsere Ladung Apfeltee loswerden, mit der wir die letzten freien Kilo im Gepäck aufgefüllt hatten. Da Tee in Kuba eine Rarität ist, nutzen ihn die Geschwister dort zu evangelistischen Zwecken – sie laden ein zum Bibelkurs mit Früchtetee ...
Das Leben in Kuba ist bis hin zu den alltäglichen Dingen durch den Kommunismus geprägt. Da der Staat weiß, wie marode das System ist, wird vieles geduldet, was eigentlich illegal ist, um das Land vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren. Ein Großteil des normalen Lebens spielt sich daher in einer Grauzone ab, was natürlich besonders die Christen ständig vor Herausforderungen stellt. Kuba ist ein säkularer Staat, und es gibt – politisch – wenig Einschränkungen bezüglich Religionsausübung. Solange die Gemeinden staatlich registriert sind, dürfen sich die Christen frei versammeln und zumindest in den Gemeinderäumen uneingeschränkt evangelisieren und predigen.
Am zweiten Tag fuhren wir wieder nach Havanna, da wir in der dortigen Baptistenge- meinde eingeladen waren – der Kontakt zu deren Pastor hatte sich bei einer der letzten Reisen ergeben. Wolfgang sollte einen Vortrag über die charismatische Bewegung halten und wir waren erstaunt, wie groß das Interesse der Gemeinde an diesem Thema war – der Saal war vollständig gefüllt und hinterher wurden noch viele Fragen gestellt.
Am nächsten und letzten Tag in Kuba trafen wir uns mit einer Gruppe von Brüdern, um lehrmäßige Themen zu erörtern. Es beeindruckte zu sehen, dass das Interesse an biblischen Fragen, die in Deutschland kaum die Gemüter bewegen, die Brüder dort stundenlange Autofahrten und beengte Wohnzimmer in Kauf nehmen lässt. Ende April wird Alois die Brüder wieder besu- chen, um ein längeres Seminar durchzuführen.

Honduras: Hitze, Hochzeit, Häftlinge ...


In Honduras hatten wir gleich am ersten Tag das Vorrecht, auf einer Hochzeit in der Gemeinde in Choloma eingeladen zu sein. Bruder Santos Mena führte die Trauung durch und Wolfgang durfte eine kurze Hochzeitspredigt halten. Allgemein fiel uns in Mittelamerika auf, dass die Christen trotz ihrer oft bescheidenen Lebens- verhältnisse sehr auf gepflegtes und adrettes Auftreten achten. Spätestens hier auf der Hoch- zeit kamen wir uns als solche vor, die sich „ohne Hochzeitskleid“ hereingeschmuggelt hatten. Im Anschluss an die Feier gab es noch einen kleinen gemeinsamen Imbiss (es war die erste Hochzeit, die ich hungrig verließ) – und sehr früh gingen alle wieder nach Hause.
Wie in den letzten Jahren fand im Freizeit- Zentrum Eden wieder eine fünftägige Konferenz für Brüder aus ganz Honduras und zum Teil sogar dem benachbarten Ausland statt. Mich, der ich zum ersten Mal dort war, beeindruckte der schlichte äußerliche Rahmen der Konferenz, die Ausdauer der Männer (fünf Vorträge täglich) und das brüderliche Miteinander (trotz äußerst einfacher und beengter Unterbringung). Die Konferenz war gut besucht – zum Teil waren über 90 Brüder beisammen – und bot neben den Vorträgen viel Raum für Austausch und Ermutigung. Das aufmerksame Zuhören und Mitschrei- ben und die gezielten Rückfragen zeigten uns, wie groß der Hunger nach klarer biblischer Lehre bei alt und jung ist und ermutigten uns beim Predigen.

Sehr dankbar waren wir dafür, dass Alois (für) uns mit unermüdlicher Ausdauer übersetzte und seine Stimme nicht versagte. Da er ständig gefordert war, war es eine Gebetserhörung, dass die „Wagner-Festspiele“ überhaupt stattfinden konnten. Wirklich beeindruckend und tröstend war auch die herzliche Anteilnahme der Geschwister an aktuellen Gebetsanliegen, die wir in dieser Zeit aus Deutschland hörten.
Sehr schön waren besonders die Begegnungen mit Walter Altamirano und seiner Frau Imelda, von denen in den vergangenen fut-Ausgaben schon öfter die Rede war. Sie erzählten uns von der Arbeit im entlegenen Dschungelgebiet – der Mosquitia, die sehr gute Fortschritte gemacht hat. An einem Abend konnten wir ihn ins Gefängnis begleiten, das seinem Wohnhaus direkt gegenüber- liegt, wo wir jeden der über 270 Gefangenen mit einem warmen Abendessen, einer eisge- kühlten Cola und einer Einla- dung zum nächsten Bibelkurs überraschten. Die Geschwister aus Tela betreuen schon seit einiger Zeit einen Bibelkurs im Gefängnis und können sich über eine kleine Schar von Gläubigen unter den Gefangenen freuen.
Walter und einige andere Brüder arbeiten auch eifrig in der Literaturarbeit mit und fördern den Leseeifer, der bei vielen Geschwistern entstanden ist. Da gute Bücher für viele kaum erschwinglich sind, ist es besonders gut, dass sie mit Hilfe aus Deutschland und Österreich subventioniert werden können und Ausleih-Bibliotheken in den Gemeinden entstehen. Auch für günstige evangelistische Literatur sind die
Geschwister dankbar und nutzen sie gerne, zum Beispiel wenn in diesem Jahr Honduras im Fußballfieber ist, da sich die Nationalmannschaft seit langem wieder für die Weltmeisterschaft qualifizieren konnte.

Nicaragua: Nöte, Neuland, Nachwuchsfreuden ...

Die letzten Tage unserer Reise verbrachten wir in Nicaragua, wo wir viel umherfuhren, um einzelne Geschwister zu besuchen. Nicaragua ist sowohl wirtschaftlich als auch geistlich ärmer als Honduras, und es gibt etliche Brüder, die in den letzten Jahren von Honduras nach Nicaragua gezogen sind, um dort vollzeitig als Missionare zu arbeiten. Colaco Euceda, der die Jüngerschaftsschule in Tela seit vielen Jahren leitet, hat daran einen großen Anteil, da er immer wieder mit den Schülern Missionseinsätze in dieses Land organisiert und damit den jungen Geschwistern einen Blick für die geistliche Not dort gegeben hat. Viele Brüder, die wir in Nicaragua besuchten, erzählten uns, dass die Einsätze mit Colaco für sie prägende Momente im Bezug auf ihren späteren Weg in den vollzeitigen Dienst waren.
In Ocotál besuchten wir Walter und Samuel, die seit etlichen Jahren in ganz einfachen Ver- hältnissen dort wohnen, um im Reich Gottes mitzuarbeiten. Gleich am Sonntag konnten wir die kleine und sehr junge Gemeinde kennenlernen, die vor kurzem ein Gemeindehaus gebaut hat. Vieles ist noch im Rohbauzustand, aber am Sonntagmorgen herrscht eine lebendige und einladende Atmosphäre. Einige Geschwister nehmen jeden Sonntag über drei Stunden Fahrt auf sich, um dort beim Brotbrechen dabei sein zu können.
Wir hatten den Eindruck, dass die Menschen in Nicaragua allgemein antriebsärmer und melancholischer sind als in Honduras, was vielleicht auch zum Teil die größere Armut im Land erklärt. Leider schlägt sich das auch in manchen Gemeinden nieder. Die Geschwister der kleinen Gemeinde in León beispielsweise wirkten enttäuscht und müde, obwohl sie noch jung sind und erst vor wenigen Jahren mit der Arbeit begonnen haben. Sowohl der Versammlungsraum als auch ihre Privaträume waren in einem erbärmlichen Zustand. Wir waren dankbar, dass wir hier wertvolle materielle Hilfe weitergeben konnten.
Besonders erfrischend und ermutigend war dagegen ein Abendessen mit einer Gruppe junger Brüder in Estelí, die alle in den letzten Jahren zum Glauben gekommen waren und vor geistlicher Lebensfreude sprühten. Israel Ramos und seine Frau, die ebenfalls von Honduras nach Nicaragua gezogen sind, kümmern sich vor- bildlich um sie und sind ihnen ein lebendiges, geistliches Vorbild. Nachdem jeder seine Bekehrungsgeschichte erzählt hatte, tauschten wir uns über persönliches geistliches Wachstum aus, erzählten von Christen in Europa und China und konnten uns gemeinsam an Gottes weltweiter Familie freuen. Die letzten beiden Tage verbrachten wir bei Oscar Cubas und seiner Familie. Oscar ist ein Pioniertyp und ein sehr begabter und hingege- bener Evangelist. Er war der erste honduranische Missionar in Nicaragua und Gott benutzte ihn, um einige Gemeinden zu gründen und junge Ehepaare aus Honduras zu motivieren, nach Nicaragua zu ziehen und dort zu missionieren. In den ersten Jahren seines Dienstes lebte er mit seiner Familie in bitterer Armut. Damals gelobte er Gott: Wenn der Herr ihm irgendwie eine Möglichkeit schenken würde, um Geld zu verdienen, dann würde er das Geld für das Werk des Herrn in Nicaragua einsetzen.
Gott hat auf ungewöhnliche Weise sein Gebet erhört: Heute leitet er ein gut gehendes und großes Unternehmen mit mehr als 300 Mitarbeitern, das Signalmasten für Telefongesellschaften plant und aufbaut. Er unterstützt mit seinem Geld viele Geschwister und investiert in das Reich Gottes, trotzdem birgt ein solches Wohlstandsgefälle innerhalb der Gemeinden natürlich Gefahren und stellt ihn immer wieder vor die Herausforderung, geistlich damit umzugehen. Insgesamt war es für uns eine intensive und bereichernde Zeit, und auch wenn uns durch die Sprachbarrieren vieles „spanisch“ vorkam, konnten wir doch sehr von den Begegnungen profitieren. Die Treue und Hingabe vieler Geschwister hat uns selbst herausgefordert.
Gleichzeitig war es schön zu sehen, wie sehr sich die Geschwister über unseren Besuch aus Deutschland gefreut haben und dadurch ermutigt wurden. Uns ist viel Dankbarkeit entgegengebracht worden, die wir gerne an die weitergeben wollen, die durch ihre finanziellen Gaben und ihren anhaltenden Gebetsdienst die Arbeit unterstützen.

Nachtext

Quellenangaben