Zeitschrift-Artikel: Aufbruch zu einer neuen Gemeinsamkeit?

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Titel: Aufbruch zu einer neuen Gemeinsamkeit?
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

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Titel

Aufbruch zu einer neuen Gemeinsamkeit?

Vortext

Der "Nürnberger Kongreß"

Text

I. Ablauf und Atmosphäre


Auf dem modernen Nürnberger Messegelände begann am 7.11.91 die erste gemeinsame Konferenz (einige sprachen von einer "Elefantenhochzeit") der "Gemeindewachstumsbewegung" (AGGA) und der "Geistlichen Ge­meindeerneuerung in der Ev. Kirche" (GGE).
Man hatte in den vergangenen Monaten kräftig einge­laden. Großformatige Einladungen lagen "ldea" und anderen evangelikalen Blättern bei. Trotz der recht stol­zen Konferenzgebühr von 200.-DM (Tageskarte 50.-DM, Abendveranstaltung I0.-DM) hatten sich 4.620 Teilnehmer angemeldet, sodaß man mit den Tagesgästen von einem vollen Haus reden konnte.
Etwa 94% der Teilnehmer kamen aus Deutschland, die übrigen kamen aus Österreich, der Schweiz und anderen Ländern. Die Altersgruppe der 26-35jährigen stellte die größte Teilnehmerzahl (1.087), gefolgt von den über 65jährigen (!) mit 804 Personen.
Neben den Plenumsveranstaltungen in der Frankenhal­le konnten die Teilnehmer jeweils an einer der "zwölf Konferenzen unter einem Dach" teilnehmen, wo es um Themen wie "Geistliche Waffenrüstung", "Gebet", "Prophetischer Dienst", "Neue Gemeindeformen", "Hauskreise" usw. ging.
Die beiden Konferenzen "Prophetischer Dienst" (675 Teilnehmer) und "Geistliche Waffenrüstung" (608 Teil­nehmer) konnten die größten Teilnehmerzahlen verbu­chen, während das Thema "Evangelisation" offenbar auf wenig Interesse stieß und mit 124 Teilnehmern das Schußlicht bildete.


Ziel der Konferenz

Die Konferenz verstand sich ausdrücklich nicht als eine auf Gründung neuer Gemeinden zielende Veranstal­tung, sondern als eine Hilfe und Stärkung der bestehen­den Kirchen, besonders der evangelisch-lutherischen Landeskirche.
Vor allem sollte auf dieser Konferenz der Brücken­schlag zwischen den evangelikalen und den pfingstle­risch- charismatischen Gruppen vollzogen werden. Das Ziel war also Einheit um jeden Preis und dazu paßte auch ein Ausspruch von Klaus Eickhoff während der Presse­konferenz, die ich als Anspielung auf die Berliner Erklä­rung verstanden habe: "Alles was Einheit verhindert, ist von unten!"


Referenten

Entsprechend den Konferenz-Zielen stand eine Anzahl von etwa 40 Referenten aus dem evangelikalen, lutheri­schen und charismatischen Lager zur Verfügung.
Unter den evangelikalen Referenten waren einige, die mir ausdrücklich erklärten, daß sie sich mit der Teilnah­me an dieser Konferenz nicht mit der Charismatischen Bewegung solidarisieren, sondern durch ihre Mitarbeit für Ausgewogenheit sorgen wollten, bzw. sich als Kor­rektiv verstanden. Das hat natürlich zu manchen Mißver­ständnissen geführt.
Hauptredner war C.Peter Wagner, der als führender Kopf der weltweiten Gemeindewachstumsbewegung bezeichnet wird und einer der Väter der "Dritten Welle" ist. Er selbst bezeichnet sich als "Brückenbauer" zwi­schen Evangelikalen, Pfingstlern und Charismatikern und neuerdings auch infolge eines "prophetischen Wor­tes" als "Katalysator", um den charismatischen, evange­likalen und liberalen (!) Strom der Christenheit zu verei­nen.
Interessant war mir die Beobachtung, daß sich meines Wissens nach kein einziger Pfingstler unter den Referen­ten befand, während andere Freikirchen wie Baptisten, Methodisten, Nazarener usw. durch Referenten vertreten waren.


Informationsausstellung

Etwa 120 christliche Werke, Bibelschulen, Verlage usw. hatten auf den Foyerflächen ihre Informationsstän­de aufgebaut und gaben einen Überblick über die breite Palette christlicher Aktivitäten. Da waren konservative katholische Marienverehrer ebenso vertreten wie bibel­treue evangelikale Bibelschulen und extrem charismati­sche Gruppen wie die "Geschäftsleute des vollen Evange­liums" und die "Philadelphiagemeinde" von Wolfhard Margies.


Die Atmosphäre

Hervorragend organisiert und vorbereitet kam es trotz der großen Teilnehmerzahl zu keiner nennenswerten Panne.
Die Atmosphäre war unbeschwert-fröhlich, emotional und familiär. Zumindest in den großen Plenumsveran­staltungen gab man sich gemäßigt charismatisch. Es wurde viel gesungen, geklatscht, gejubelt und gelacht. Man betete mit erhobenen Händen und bewegte sich ab und zu rhythmisch zu den Liedern. "Zungensingen" war oft zu hören, Zungenreden dagegen kaum. Es war eine locker-fröhliche Stimmung, ekstatische Phänomene wie beim Wimber-Kongreß in Frankfurt fielen nicht in die Augen.
Auffallend war, daß zu den Plenumsveranstaltungen kaum jemand eine Bibel mitbrachte. Vielleicht lag das auch daran, daß mit Ausnahme der beiden Bibelarbeiten von Klaus Vollmer in den Hauptreferaten fast ausschließ­lich Geschichten und Erfahrungen erzählt wurden.


Der Jesus-Marsch

Ein Höhepunkt der Konferenz sollte der Jesus-Marsch am Samstag durch die Nürnberger Innenstadt sein. Die historische Dimension dieses Tages sollte besonders ins Blickfeld gehoben werden:

9. November 89: Öffnung der Berliner Mauer
9. November 38: Reichskristallnacht
9. November 23: Marsch auf die Feldherrnhalle

Mit Fahnen, Transparenten und Plakaten bestückt be­teiligten sich etwa 8.500 Personen an dem Marsch. Es wurde gesungen, gebetet, gejubelt und unter der Leitung von Walter Heidenreich bekam das Publikum Parolen in Sprechchören zugerufen wie z.B.:

Leiter: Wer hat Macht zu retten?
Alle: (4x klatschen) Jesus!
Leiter: Wer hat Kraft zu heilen?
Alle: (4x klatschen) Jesus!
Leiter: Wer ist aller Herr?
Alle: (4x klatschen) Jesus!
- Jubel -


Der Marsch endete mit einer Schlußkundgebung am Hauptmarkt und sollte dazu dienen, fürbittend für Deutschland einzutreten und 'die Herrschaft Jesu über Deutschland bzw. Nürnberg auszurufen.
Begründet wurde dieser Marsch mit "der alten bibli­schen Tradition des Gottesvolkes" und mit der kirchli­chen Tradition der Prozessionen, bei denen mit Gebet und Gesang durch Stadt und Land gezogen wurde.

Auf der Pressekonferenz berichtete Walter Heidenreich, daß diese neue Art der Jesus-Märsche 1987 in England begonnen hätte, wo im Jahr 1990 bereits 60 Märsche mit etwa 1 Mill. Teilnehmern stattgefunden haben.
Mit diesen Märschen wolle man in die Offensive ge­hen, Einheit demonstrieren, falsche Vorstellungen ab­ bauen, das Christsein feiern, den Heiligen Geist einladen und sich Gott zur Verfügung stellen.


9. November 91 - die große geistliche Wende?

Für die meisten Teilnehmer war sicher nicht der Jesus-Marsch, sondern der "Versöhnungsgottesdienst" am Abend der eigentliche Höhepunkt der Konferenz.
Ich wunderte mich schon, warum man mir vor der Abendveranstaltung ein Fähnchen in die Hand drückte. Aber zunächst einmal wurden die originellsten Fahnen und Transparente des Jesus-Marsches vorgestellt und mit Preisen der Verlage Brockhaus und Abakus prämiert. Dann folgte ein Vortrag von C.P. Wagner, in welchem er betonte, daß durch den Marsch am Vormittag dämoni­sche Mächte gebrochen worden seien und der Geist Gottes heute abend zeige, daß wir alle nach dem Vorbild von Daniel 9 kollektiv Buße tun sollten.
Dann folgte ein bemerkenswerter Satz: "Die geistliche Schlacht wird entschieden, wenn der Graben zwischen Evangelikalen und Charismatikern verschwindet!"
Wenn ich mich recht erinnere, wurde nach diesem Vortrag von einer Anbetungstanzgruppe "Freudenöl" der Bibelschule Bad Gandersheim unter Lichteffekten, Fah­nenschwingen, Gesang und Jubel Jesus symbolisch "gekrönt".
Aber das Eigentliche folgte, als Klaus Eickhoff als 1. Vorsitzender der AGGA und im Namen vieler Evangeli­kaler die Charismatiker und Pfingstler stellvertretend um Vergebung für alle Verurteilungen, negative Beurteilun­gen usw. in der Vergangenheit bat.
Friedrich Aschoff sprach ihm dann die Vergebung zu und bat seinerseits im Namen der Charismatiker um Vergebung für alles üble Reden über Nichtcharismatiker. Nachdem erklärt wurde, daß der Teufel an diesem Abend eine Schlacht um Deutschland verloren habe, wurden die Anwesenden aufgefordert, folgendes Gebet nachzuspre­chen:

"Jesus, ich erkenne und anerkenne dich als Haupt der Gemeinde. Jesus, ich bekenne, daß ich durch mein lieb­loses Verhalten die Einheit des Leibes zerstört habe. Ich bitte um deine Veränderung und bitte auch euch Ge­schwister um Vergebung. Dies soll gelten vor der sicht­baren und unsichtbaren Welt. Amen."

Darauf erteilte Paul Toaspern "als verordneter Diener Jesu" allen die Absolution und nach einer kurzen Bot­schaft von Klaus Vollmer über 2.Kor. 5,20-21 wurde aufgefordert, zur Seelsorge nach vorne zu kommen, wenn noch persönliche Sünden zu bekennen wären.

Stand an diesem Abend die "Berliner Erklärung" von 1909 im Raum, ohne daß sie m.W. namentlich erwähnt wurde, so ging Klaus Eickhoff in seiner Abschlußanspra­che am Sonntag vormittag auf diese Erklärung ein.
Er gab den Konferenzteilnehmern die theologische Frage mit auf deri Weg, ob sich nicht damals die Brüder, welche von tiefer Sorge erfüllt die Berliner Erklärung unterschrieben hatten, geirrt haben, wenn sie von einem "Geist von unten" in der Pfingstbewegung sprachen. Eickhoff wollte zu bedenken geben, daß der Heilige Geist auf alles "Fleisch" ausgegossen worden sei und von daher immer "geistliches" und "fleischliches" in einer von Gott gewirkten Bewegung zu erkennen wäre. C.P. Wagner wertete diesen Abend als einen "bedeutsamen Punkt in der Kirchengeschichte Deutschlands".



II. Verkündigungsinhalte

War der äußere Rahmen relativ gemäßigt charisma­tisch, so machten andererseits viele Referenten keinen Hehl aus ihren Überzeugungen und bekannten sich auf­fallend offen zu den Theorien und Praktiken der Charis­matischen Bewegung.


"Deutschland, Deutschland..."

Interessant fand ich, was Loren Cunningham (der Leiter von "Jugend mit einer Mission") und C.P. Wagner wiederholt betonten: daß angeblich Gott und die charis­matischen Leiter in der ganzen Welt ihre Aufmerksam­keit auf Deutschland richten würden.
L. Cunningham erzählte z.B., daß Gott im April 91 "über ihn gekommen sei" und "mit einem gebrochenen Herzen" über Deutschland geweint habe. Er habe gesagt, daß er aber noch einmal seinen Geist ausgießen wolle, wenn die Christen nur einig wären.
Cunningham beendete seinen Vortrag am Eröffnungs­abend mit einer "Prophetie", die ich hier sinngemäß wie­dergebe:

"Gott liebt euch als Nation, eure Wüstenzeit ist vorbei und wenn ihr als Gläubige vorangeht, wird er euch die Leitungsverantwortung über die Welt wiedergeben und Jesus wird noch einmal seinen Geist ausgießen. Ein neuer Tag bricht an..."

Das Publikum reagierte auf diese Worte mit spontanem Applaus.

Auch C.P. Wagner äußerte in seinem ersten Vortrag: "Die Geschichte Deutschlands wird sich nach dieser Konferenz ändern."
Auf der Pressekonferenz antwortete er auf die Frage, was sich konkret ändern wird:
"Es wird geheilt werden, öffentliche Personen werden sich zu Jesus bekehren, Pornographie, Korruption, Ab­treibung und Unmoral wird abnehmen... Eines der größ­ten Wunder in Deutschland war der Fall der Mauer. Der geistliche Hintergrund dafür war eine Veränderung in den himmlischen Ortern."
Im Laufe seiner Vorträge berichtete C.P. Wagner auch von der Konferenz der Lausanner Bewegung in Manila '89, wo die anwesenden 4.500 Leiter aus aller Welt Zeugen davon waren, wie sich dort die Evangelikalen mit den Charismatikern und Pfingstlern verbunden ha­ ben. Gott habe dort außerordentlich gewirkt, weil Pfingstler und Charismatiker auf allen Ebenen der Kon­ferenz mitgearbeitet hätten. Proteste seien damals nur aus Deutschland und Japan gekommen, so daß man in Manila den Eindruck hatte, daß Deutschland für den Heiligen Geist "zu" sei. Aber jetzt habe sich das Blatt gewendet und er sei überzeugt, daß der Herr die deut­schen Christen benutzen werde, um die Christenheit zu lehren, wie "Geistliche Kampfführung" aussieht.

Diese Ausführungen machen deutlich, warum auf der Nürnberger Konferenz die Berliner Erklärung von 1909 immer wieder ins Gespräch kam. Viele Christen glauben tatsächlich, daß wegen der Berliner Erklärung - in wel­cher die damals aufbrechende Pfingstbewegung in Deutschland von den damaligen Vätern der Gemein­schafts- und Allianzbewegung als "nicht von oben, son­dern von unten" beurteilt wurde - bis heute ein Bann auf Deutschland liegt und dem weltweiten Wirken des Hei­ligen Geistes entgegensteht.


"Prophetischer Dienst"

Dieses Thema stieß auf sehr großes Interesse, obwohl C.P. Wagner meinte, daß "Prophetie" die Sache der 80er Jahre gewesen sei und der Heilige Geist für die 90er Jahre "Geistliche Kampfführung" in den Mittelpunkt gestellt habe.
Die Konferenz mit diesem Thema wurde von F. Aschoff und K. Warrington geleitet. Prophetie wurde als "Reden aus Eingebung", als eine "Aktualisierung oder Konkretisierung dessen, was im Wort Gottes zu finden ist" definiert.
Es wurde erklärt, daß das prophetische Wort aus dem Mund eines Menschen eine größere Aktualität besitzt als das geschriebene Wort.
Man konnte tatsächlich als aufmerksamer Beobachter der Konferenz den Eindruck bekommen, daß das Wort Gottes im Gegensatz zu den Visionen, Bildeindrücken und Eingebungen nicht so interessant und aktuell zu sein scheint.
Nach den einführenden Referaten wurde "Prophetie" in kleinen Gruppen geübt. Dabei sollte man alle Eindrücke und Bilder, die im Geist auftauchen, zunächst einmal als vom Heiligen Geist bewirkt ansehen, der allerdings in den meisten Fällen keine negativen Prophetien schenke, sondern nur zur Erbauung und Ermunterung der Mitge­schwister wirke.
In kleinen Gruppen von 4-6 Personen tauschte man sich dann aus, teilte einander die Bilder und Eindrücke mit, was in manchen Fällen zu Handauflegungen führte.
In den Plenumsveranstaltungen dagegen wurde keine "Prophetie" aus dem Publikum geduldet. Als am Abend ein "Prophet" unvorhergesehen ans Mikrofon trat und zu Recht die Evangelische Kirche wegen der Nacktdarstel­lungen auf dem letzten Kirchentag zur Buße rief, wurde er liebevoll, aber unmißverständlich von einigen Ord­nern unterbrochen und abgeführt.


"Geistliche Kampfführung"

Während mir der Umgang mit 'Prophetie" mehr oder weniger wie ein leichtsinniges, psychologisches Spiel mit gruppendynamischen Elementen zu sein schien, das mit biblischer Prophetie nichts und mit menschlicher Phantasie viel zu tun hat, bekam ich den Eindruck, daß das, was unter "Geistlicher Kampfführung" angeboten wurde, wesentlich folgenschwerer zu sein scheint.
Hatte einer der anwesenden Referenten bereits vor Jahren gesagt: "Keine Erweckung ohne Geistestaufe", so erklärte C.P. Wagner in Nürnberg: "Keine Erweckung ohne Geistliche Kampfführung!"
Unter "Geistliche Kampfführung" versteht man, daß die Dämonen, die für gewisse Territorien (Häuser, Stra­ßen, Städte, Länder) zuständig sein sollen, durch Gebet oder Visionen möglichst mit Namen identifiziert und dann im Namen Jesu gebunden werden. Die Folge davon wäre angeblich Erweckung und Durchbruch des Evange­liums. Bei diesem Thema geht es also vor allem um territoriale Dämonen, Engel und sonstige Geistwesen, die auch - so berichtete man - im Tagungsraum bereits gesehen worden seien.


"Jesus-Marsch" und "Geistliche Kampfführung"

In Nürnberg wurde deutlich, daß die "Jesus-Märsche" vor allem unter dem Gesichtspunkt der "Geistlichen Kampfführung" durchgeführt werden. Auch bei diesen Demonstrationen erwartet man, daß die Macht der terri­torialen Dämonen dieser Stadt gebrochen wird und will die Herrschaft Jesu proklamieren.
Der nächste "Jesus-Marsch" steht schon fest: Am 23.5.92 sollen in Berlin und in den meisten Hauptstädten Europas die Christen auf die Straße gehen, um die "Neu­evangelisierung Europas bis zum Jahr 2000" voranzutrei­ben. Es wurde dazu inzwischen ein "Marsch für Jesus e.V." gegründet, dessen Trägerkreis aus Charismatikern der katholischen, evangelischen und anglikanischen Kirche, aus den Baptisten, den Pfingstlem und extremen Gruppen wie "Wort des Glaubens", "Philadelphia Ge­meinde Berlin" usw. besteht.
Welch magisches Denken bei der "Geistlichen Kampf­führung" eine Rolle spielt, wird in der Strategie Wagners für die nächsten Jahre deutlich:
Im Mai 1994 wird die Lausanner Bewegung in Seoul ein internationales Leiter treffen mit ca. 5.000 Teilneh­mern durchführen. Als Gebetsunterstützung will Wagner als Koordinator von "A.D. 2000" Gebetskreise in aller Welt mobilisieren. Sein Ziel ist es, 5.000 Gemeinden zu bewegen, für diese Konferenz eine Nacht im Gebet zu verbringen.
Andere Gruppen werden 40 Tage lang fasten. Am letzten Tag der Konferenz, am 25.6.94, sollen in allen Hauptstädten der Welt Jesus-Märsche durchgeführt wer­den, die etwa 25 Millionen Christen auf die Straße bringen, um die Herrschaft Jesu über diese Welt zu proklamieren. "Jugend mit einer Mission" werde dann die "vier Enden der Erde" mit Betern besetzen und von dort aus die dämonischen Mächte brechen.
C.P. Wagner wörtlich: "Dieser Tag wird die Welt ver­ändern!"
Grundsätzlich kann man sich ja nur freuen, wenn viele Gemeinden eine Nacht im Gebet zubringen. Damit sollte man nicht 1994, sondern heute beginnen. Aber die Vor­stellung, mit lange im voraus geplanten, genau datierten Gebetsnächten, kombiniert und zeitgleich mit Jesus-Märschen in allen Hauptstädten der Welt und einer inter­nationalen Leiterkonferenz usw. eine Erweckung pro­grammieren und die himmlischen Örter von Dämonen säubern zu können, finden wir nirgendwo in der Bibel.
Diese Strategie ähnelt mehr einem heidnischen, magi­schen Entsprechungsdenken.


Ein Gespräch mit C.P. Wagner

Die mir gegenüber sehr zuvorkommende Konferenzlei­tung, deren Einladung zur kostenlosen Teilnahme an dieser Konferenz ich gefolgt war, vermittelte mir unmit­telbar vor dem Jesus-Marsch ein Gespräch mit C.P. Wagner. In diesem Gespräch ging es vor allem um folgende Punkte:
- Die von Wagner gelehrten Offenbarungsquellen: Bibel und christliche Erfahrung,
- sein Selbstverständnis als "Katalysator", um Charis­matiker, Evangelikale und Liberale zu vereinen,
- die Freundschaft und Zusammenarbeit Wagners mit Männern wie Yonggi Cho und Robert Schuller,
- eine biblische Begründung und ein neutestamentli­ches Beispiel für "Geistliche Kampfführung".

Zum ersten Punkt bekannte sich Wagner zu seiner Auf­fassung von den beiden Offenbarungsquellen, machte aber deutlich, daß jede neue Offenbarung an Gottes Wort geprüft werden müsse, weil die Bibel die letzte Instanz sei.
Was die Vereinigung mit dem liberalen Flügel der Christenheit betrifft, sei er auch gespannt, wie das ge­schehen solle. Allerdings hätte die in den USA von Walter Wink repräsentierte sozialliberale Gruppe von Vertretern der Befreiungstheologie nach den politischen Ereignissen der letzten Jahre keine großen Perspektiven mehr, sodaß ein großes Fragen entstanden wäre. Es fehle ihnen nur noch der "Geist".
Zu Y. Cho und R. Schuller bemerkte C.P. Wagner, daß er um einige bedenkliche Lehren dieser Männer weiß, sie auch für falsch hält, aber ansonsten ihren gesegneten Dienst - wie Wagner sagt - anerkennt und schätzt. Da wir alle Fehler machen, müßten wir vonein­ander lernen und durch freundschaftliche Beziehungen einander helfen.
Zur letzten Frage gab Wagner zu, daß es kein deutli­ches neutestamentliches Beispiel für "Geistliche Kampf­führung" gibt. Aber wir würden vieles lehren und prak­tizieren, was die Bibel nicht ausdrücklich lehrt. Daher sei das eine Frage der Hermeneutik.
Ansonsten verwies er auf sein neuestes Buch zu diesem Thema und erzählte lächelnd, daß der bekannte amerika­nische Prediger John MacArthur ihn diesbezüglich einen "Magier" genannt habe.


III. Der Versuch einer Beurteilung

Der Einfluß von C.P. Wagner

Mir wurde auf der Konferenz klar, daß der Einfluß C.P. Wagners in Deutschland viel größer und folgen­schwerer ist, als ich erwartet hatte. Nachdem, was ich in Nürnberg von ihm gehört habe, verstehe ich noch weni­ger, wie konservative Evangelikale Wagner gegenüber neutral bleiben, oder sogar seine Bücher empfehlen können.
Sicher hat er manches Richtige zum Thema "Geistesga­ben" und "Gemeindewachstum" zu sagen, aber seine über die Bibel hinausgehenden Theorien und Strategien sind für die evangelikale Bewegung verhängnisvoll. Ich habe den Eindruck, daß man in die Nähe von weißer Magie rückt, wenn man z.B. Wagners Thesen über "Geistliche Kampfführung" praktiziert.
Geistlicher Kampf nach Eph. 6 hat absolut nichts mit Erkennen und Binden von Dämonen zu tun, sondern mit Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Evangelisation, Gottes Wort, Glaube und Gebet.
In der "Dritten Welle" wird ein biblischer Begriff aus Eph. 6 benutzt, aber mit Inhalten gefüllt, die aus einer zweiten, nichtbiblischen Offenbarungsquelle, der "christ­lichen Erfahrung" stammen. Über solchen "Offenbarun­gen", die dem abgeschlossenen Wort Gottes noch etwas hinzufügen wollen, steht das "verflucht" aus Gal. 1,8.
Die Theorie einer zweiten Offenbarungsquelle neben der Bibel öffnet allen Irrlehren der Endzeit die Tür.
Es wird der Tag kommen, wo Satan und seine Engel aus den himmlischen Örtern geworfen werden. Dann wird tatsächlich die Welt eine Veränderung erleben, aber Gottes Urteil lautet: "Wehe der Erde!" (Offb. 12,12)
Was "Prophetie" und "Geistliche Kampfführung" be­trifft, kann man der Berliner Erklärung nur zustimmen:
"Der Geist dieser Bewegung führt sich durch das Wort Gottes ein, drängt es aber in den Hintergrund durch sog. 'Weissagen'."
Das war schon das Ergebnis der Weissagungen der fal­schen Propheten zur Zeit Jeremias: Durch ihre Visionen und Bildeindrücke brachten sie das Wort Gottes bei dem Volk Israel in Vergessenheit. Man lese bitte Jeremia 23!
Obwohl in seinem Auftreten freundlich, tolerant, sich nicht für unfehlbar haltend, scheint mir C.P. Wagner ein weitsichtiger, kühler Stratege zu sein, der mit seiner Kompromißfreudigkeit und Ablehnung jeder Abgren­zung eine Einheit und Welterweckung anstrebt, die meiner Überzeugung nach in einer Verirrung enden wird.
Wenn C.P. Wagner tatsächlich als einer der bedeuten­den evangelikalen Führer anerkannt ist, dann stehen die Evangelikalen vor einer tragischen und folgenschweren Verführung.
Mein Eindruck, daß die Evangelikalen in Deutschland recht ahnungslos von der Lausanner Bewegung in Rich­tung "Dritte Welle" manipuliert werden, wurde durch den Nürnberger Kongreß und durch die Berufung Frie­drich Aschoffs in den Leitungskreis des deutschen Zweiges der Lausanner Bewegung und die Berufung von Paul Toaspern in den Hauptvorstand der Allianz bestätigt.


Unwissenheit und Frustration

Auffallend war in Nürnberg auch, daß viele der von mir angesprochenen Referenten die Theorien der "Drit­ ten Weite" nicht durchschauten, bzw. gar nicht kannten. Selbst einige Verantwortliche der Konferenz gaben zu, daß sie sich z.B. mit den Theorien über "Geistliche Kampfführung" bisher noch nicht befaßt hatten.
Manche Pfarrer äußerten, daß sie es leid seien, sich mit Kirchenleitungen und ungläubigen Amtskollegen herum­zustreiten. Sie wären dankbar, daß sie in der charismati­schen Szene endlich Brüder und Schwestern gefunden hätten, die ein evangelistisches Anliegen haben und mit ihrem Enthusiasmus anspornend wirken.
Einige Referenten, darunter vor allem Klaus Eickhoff, zeigten - soweit ich das beurteilen kann - ein aufrichtiges und ernsthaftes Interesse an echter Erweckung. Eickhoff scheute sich nicht, den "Tauf-Fetischismus" in der Evan­gelischen Kirche öffentlich und in aller Schärfe anzu­prangern. In seinen Beiträgen und auch in einem persön­lichen Gespräch mit ihm spürte ich deutlich seine Sehn­sucht nach geistlicher Einheit und nach einem geistlichen Durchbruch in unserem Land.
Ich habe dort viele Christen kennengelernt, die fru­striert von ihren Kirchen und enttäuscht von sich selber auf der Suche nach geistlichem Leben, verbindlicher Hingabe an den Herrn und wahrer, gelebter Bruderliebe sind. Warum haben sie das alles nicht bei uns sog. "Nichtcharismatikern" gefunden?


Die Herausforderung für "Nichtcharismatiker"

Die "GGE" mit ihrer Neigung zum katholischen Mysti­zismus (siehe z.B. "Gemeinde Erneuerung" 4/91) und ihrem klaren Bekenntnis zur historisch-kritischen Ausle­gung der Bibel kann niemals auf Dauer geistlichen Hunger stillen.
In der "AGGA" wird man "die Geister", die man mit C.P. Wagner und seinen Theorien gerufen hat, nicht so schnell loswerden und daher sollte der Nürnberger Kongreß für uns alle eine Herausforderung sein, eine biblische, erweckliche, geistlich gesunde Alternative zu bieten.
Wenn wir mit Gottes Hilfe solchen frustrierten Chri­sten die Augen für die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus in Seinem Wort öffnen und ihnen Liebe, Verständnis, Wärme und ein geistliches Zuhause bieten können, werden sie wahrscheinlich kein Interesse mehr daran haben, mit geschlossenen Augen auf Visionen und Ein­gebungen zu warten.
Ein deutliches evangelistisches Anliegen, eine bren­nende Liebe zum Herrn, zu Seinem Wort und zu den Verlorenen auf der Straße wird sie mehr anziehen als irgendwelche Theorien über das Binden von territorialen Dämonen in himmlischen Örtern.
Wenn wir wirklich als solche erkannt werden, die im Alltag mit dem Herrn Jesus unterwegs sind, werden pe­riodische "Jesus-Märsche" mit allem Spektakel ziemlich lächerlich wirken.
Kurz: Wenn wir nur mehr das im praktischen Leben verwirklichen würden, was wir als bibeltreue Christen in Büchern und Vorträgen auf unsere Fahnen schreiben, hätte die Charismatische Bewegung - davon bin ich überzeugt - keine Überlebenschance. 

Nachtext

Quellenangaben

Alle Zitate wurden handschriftlichen Aufzeichnungen entnommen und gehen den Sinn des Gesagten wieder.