Gedanken zu einem Buch von Lynne und Bill Hybels
Bill Hybels und die von ihm gegründete und geprägte Willow Creek-Gemeinde mit dem Ansatz »Kirche für Distanzierte« ist in den letzten Jahren auch in Deutschland bekannt geworden. Durch seine Vorträge u. a. auf dem Nürnberger Kongreß, auf dem Kirchentag in Hamburg und auch durch eine Anzahl Bücher, die inzwischen in deutscher Sprache erschienen sind und überall stark empfohlen werden, ist er und sein Programm zur Zeit zu einem vielzitierten Hoffnungsträger für Gemeindewachstum geworden.
In den letzten Monaten kamen oft Anfragen, wie man Willow Creek beurteilen soll. Ob es sich hier um eine neue charismatische Welle oder nur um eine neue Variante der Gemeindewachsturriskonzepte handeln würde.
Daher kann man dankbar sein, daß vor einigen Wochen ein Buch von Lynne und Bill Hybels in deutscher Sprache veröffentlicht worden ist, in dem die Geschichte dieser Gemeinde in Verbindung mit der Lebensgeschichte Bill Hybels und seiner Frau geschildert wird. Dieses Buch ist recht lebendig und vor allem mit einer auffallenden Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit geschrieben worden, so daß jeder Leser — egal wie er zu Willow Creek steht— einigen Stoff zum Nachdenken und zur Selbstprüfung haben wird.
Die nun folgenden Ausführungen sollen keine abschließende Beurteilung von Willow Creek sein. Ich habe 13ill Hybels persönlich nur 1993 in Nürnberg gehört und war bei einem Interview mit ihm anwesend. Außerdem habe ich einige seiner Bücher gelesen, Willow Creek selbst aber noch nicht »life« erlebt. Daher gründet sich mein Meinungsbild vor allem auf das zuletzt erschienene Buch, das allerdings zum großen Teil autobiographische Züge trägt und daher die Motivation, die Prinzipien und die Arbeitsweise Bill Hybels aus erster Hand erkennen läßt.
Eine seltene Akzeptanz
Erstaunlich ist, daß Willow Creek in Deutschland von Gemeindewachstumsgruppen (»AGGA«), der »GGE« und anderen charismatischen Gruppierungen, aber auch von der Evangelischen Allianz und einigen konservativen Gemeinschaften in seltener Einmütigkeit als das Programm zur Stunde auf den Leuchter gestellt wird, obwohl sich Willow Creek nach eigenen Aussagen nicht als eine charismatische, sondern eher als eine im guten Sinn fundamentalistische, evangelikale Gemeinde versteht. Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß die Bücher von Willow Creek als Coproduktion von den Verlagen Projektion J und Brockhaus vertrieben werden, wobei der erstere stark charismatisch geprägt ist (Veröffentlichungen von extremen Charismatikern wie Benny Hinn, John Wimber, C. Peter Wagner und »Propheten« wie Mike Bickle, Rick Joyner usw.) und der andere der Verlag der »Elberfelder Bibel« ist, der sich zumindest von der Herkunft her als ein Verlag der sog. »Brüderversammlungen« versteht.
Eine seltene Bandbreite
Es ist nicht leicht, Bill Hybels und sein Programm mit wenigen Sätzen zu beurteilen. Einige seiner Auffassungen und Praktiken muß man eindeutig als unbiblisch ablehnen (z. B. Frauen als Älteste und die völlige Gleichstellung von Mann und Frau in der Gemeinde, vgl. S. 143; 255). Andere Praktiken wie der Einsatz von Tanz, Theater, Musik und Medien usw. bei den Gemeindeveranstaltungen, wird man — je nach Hintergrund — für bedenklich halten oder verwerfen. Völlig unverständlich ist mir allerdings Hybels Zusammenarbeit mit einem Irrlehrer wie Robert Schuller (S. 57; 80), der mit seinem »Positiven Denken« und »Positiven Bekennen« die Christenheit mit Ideen und Vorstellungen vergiftet hat, die einerseits zentrale biblische Aussagen auf den Kopf steilen und andererseits derart unsinnig sind, daß es unbegreiflich ist, wie Christen mit normalem Verstand diesem Mann Vertrauen schenken können.(1)
Andererseits ist man positiv erstaunt, wenn wenige Seiten später von dem guten Einfluß von John MacArthur auf Bill Hybels und Willow Creek die Rede ist (S. 89; 119).
Ein ähnliches Wechselbad der Gefühle erlebt man, wenn von R.C. Sproul und seinem Seminar in Willow Creek zum Thema »Heiligkeit« die Rede ist, das »zentral in Bills geistlicher Entwicklung war« (5. 115/ 116) und man einige Zeilen später liest, daß durch »Jack Hayford und andere gottesfürchtige Männer und Frauen Bill ein neuer, geistlicher Zugang zur Anbetung vermittelt wurde« (S. 117). R.C. Sproul ist als konservativer, calvinistischer Theologe und Autor bekannt, während Jack Hayford als extremer Charismatiker einen Namen hat.
Vielleicht lüftet sich an dieser Stelle auch das Geheimnis, warum Bill Hybels zu einer Integrationsfigur für Charisma tiker, Fundamentalisten und Evangelikale geworden ist.
Fragen, die wir uns stellen müssen
Aber auch wenn man aus den genannten Gründen nicht in die Begeisterung für Willow Creek einstimmen kann, sondern in dieser — wie ich meine — unbekümmerten und naiven Zusammenarbeit mit sehr fragwürdigen Leuten eine neue, nicht so leicht zu durchschauende Gefahr auf die Evangelikalen zukommen sieht, wirft Bill Hybels und Willow Creek einige brennende Fragen auf, die das Mark unseres praktischen Christseins und Gemeindelebens treffen:
1. Was ist Kirche? Das Bild von der Willow Creek-Kirche als einer Lebens- und Dienstgemeinschaft, in der man alle Sorgen, Nöte und Aufgaben teilt, wo einer für den anderen da ist und jeder als Glied des Leibes ernst genommen wird, fordert heraus. Auch wenn ich die Gemeindesicht von Bill Hybels nicht teilen kann und in einigen Teilen für unbiblisch halte, hat mich der praktische Aspekt die ses Gemeindelebens, die praktische Liebe und Anteilnahme, beschämt.
2. Welche Sorge haben wir um die Verlorenen? Die Leidenschaft, die Phantasie und der Einsatz von Willow Creek, um Außenstehende zu Christus zu bringen, ist vorbildlich. Auch wenn man einige Methoden ablehnen oder in Frage stellen mag, kann man sich über die Motive und Ziele dieser von Liebe geprägten, aber harten Arbeit nur freuen.
3. Wo bleibt unsere Offenheit und Ehrlichkeit? Lynne und Bill Hybels schonen sich selbst in ihrem Buch nicht. Ihr persönliches Versagen, Sünde, falsche Sichtweisen und Lebenshaltungen, die u. a. bis zur Ehekrise und zum geistlichen Zusammenbruch führten, werden in einer Aufrichtigkeit geschildert, die dem Leser hilft, eigenes Fehlverhalten zu erkennen und eine geistliche Offenheit im Gemeindeleben anzustreben.
»Von Anfang an bestand kein Zweifel darüber, daß die Willow Creek Community Church von einem Sünder geleitet wird. Die einzige Frage war, ob es ein ehrlicher Sünder war oder einer, der seine Gemeinde täuschen und seine Liste von Sünden verbergen wollte.«(2)
4. Wie steht es mit unserer Leiterschaft? Die Geschichte von Willow Creek zeigt deutlich, welche Kräfte mobilisiert werden können, wenn begabte und hingegebene Führer durch Vorbild und Fleiß zielgerichtet in einer Gemeinde arbeiten und das geistliche Wachstum des Einzelnen im Auge haben.
5. Wie steht es mit unserer Hingabe? Bei allen Vorbehalten, Bedenken und Befürchtungen, die in mir aufkommen, wenn ich darüber nachdenke, welche Resultate zu erwarten sind, wenn Willow Creek in Deutschland gedankenlos kopiert wird, hoffe ich sehr, daß die unbedingte Hingabe an Christus, um die es Bill HybeIs in diesem Buch geht, einen tiefen, nachhaltigen Eindruck auf jeden Leser hat. Hier scheint ein Mann nicht um seine eigene Ehre besorgt, sondern von einer Liebe und Leidenschaft zu Jesus Christus, zu Seiner Gemeinde und zu den Verlorenen erfüllt zu sein.
»Es handelt sich hier nicht um eine einmalige Hingabe, sondern um die tägliche Kapitulation. Ich habe Gott immer wieder versprochen, mein Leben völlig für seine Führung zu öffnen — nur um wieder zurückzuschrecken und einmal mehr zu versagen. Aber ich bin jedesmal wieder auf die Knie gefallen und habe wiederholt, daß es der ehrliche Wunsch meines Herzens ist, Christus bedingungslos zu gehorchen und sein völlig hingegebener Nachfolger zu werden. Das ist nichts Heldenhaftes. Und daher sollte es die Norm in jeder Gemeinde sein. Leiter sollten ihre Gemeindeglieder dazu herausfordern, Jünger zu werden, die nur auf ein Wort Jesu warten und sich uneingeschränkt unter die Autorität Christi in ihrem Leben zu unterwerfen... Völlige Hingabe —das sollte das Ziel eines Nachfolgers Christi auf den Punkt bringen. Es heißt nicht, wir sollen mehr geben, mehr tun, mehr mitarbeiten, mehr opfern, mehr dienen. Wenn Sie sich für die Führung Christi öffnen, werden seine Anweisungen manchmal lauten, mehr zu entspannen, das Tempo zu senken, sich auszuruhen. Der entscheidende Punkt ist, daß es sein Ruf ist. Wir müssen bloß kooperieren. Unser Vertrauen in ihn sollte groß genug sein, so daß wir bereit sind, uns selbst ihm unterzuordnen und seiner Führung zu folgen, wohin auch immer sie uns bringt.«(3)
Wenn diese Hingabe durch den Dienst Bill Hybels bei seinen Zuhörern und Lesern geweckt wird, gibt es Hoffnung für die Evangelikalen in Deutschland. Dann werden sie nicht in den Sog einer zur Zeit populären, erfolgreichen, aber vergänglichen »christlichen Modewelle« geraten, sondern ihr Herz und Leben unserem Herrn, Seinem Wort und Seinem Werk weihen. Nur eine neue Hingabe an Christus, ein uneingeschränkter Gehorsam Seinem Wort gegenüber wird das praktische Gemeindeleben in Deutschland positiv verändern können. Dann werden die Christen an Glaubwürdigkeit gewinnen und durch Christusähnlichkeit eine unbewußte, aber starke Anziehungskraft auf Distanzierte ausstrahlen.
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