»Wo seid ihr, ihr Schüler der ewigen Gnade, Ihr Kreuzgenossen unseres Herrn? Wo sieht man eure begnadigten Pfade, Daheim oder in der Fern? Ihr Mauerzerbrecher, wie sieht man euch? Die Felsen, die Löcher, die wilden Sträuch´, Die Inseln der Heiden, die tobenden Wellen Sind eure von alters her bestimmten Stellen.«
Dieses alte „Streiterlied“ der Herrnhuter aus dem 18. Jahrhundert kam mir in den Sinn, als ich mich in einer ruhigen Stunde in Wenzhou (China) hinsetzte, um einige Begegnungen und Eindrücke von unserem Besuch in Honduras und Nicaragua im Februar dieses Jahres zu Papier zu bringen.
Es ist eine große Freude und Ermutigung für uns zu erleben, dass immer wieder jüngere und ältere Brüder, Schwestern und Ehepaare in diese armen Länder aufbrechen, um für einige Wochen, oder auch für viele Jahre Gegenden aufzusuchen, wie sie auch in dem oben zitierten Lied beschrieben werden.
Da denke ich an Walter Altimirano, der neben der Literatur-Arbeit mit einem Team Brüder seit Jahren jede Woche regelmäßig das Gefängnis in Tela besucht und mit 80 bis 100 Gefangenen die Emmaus-Bibelkurse durchpaukt.
Schlammlawinen, Erdrutsche und Überschwemmungen
In den vergangenen Monaten kam allerdings eine neue Herausforderung auf Walter zu: Im Herbst letzten Jahres gab es durch monatelange Regenfälle eine Unwetter-Katastrophe, von welcher in den europäischen Medien kaum etwas berichtet wurde. Flüsse stiegen auf Grund der Regengüsse um 8-10 Meter an und entwickelten eine unvorstellbare Wucht, durch die Brücken eingerissen sowie Straßen und ganze Dörfer zerstört wurden. Durch den aufgeweichten Boden kam es zusätzlich zu Schlammlawinen und Erdrutschen, durch die mächtige Bäume entwurzelt und mitgerissen wurden.
In einer abgelegenen, armen Bergregion waren die Schäden besonders groß. Dort haben 24 Familien – darunter viele Christen – in wenigen Minuten alles verloren. Wir hörten von Geschwistern, die auf Grund der Wasserfluten zunächst auf das Dach ihres Hauses kletterten. Als das Wasser aber immer höher stieg, rannten sie auf den nächst höheren Berg, von wo aus sich ihnen aber ein Erdrutsch entgegenwälzte und alles unter sich begrub. Zwei Teenager wurden 2 km weit von den reißenden Fluten und Schlammmassen mitgerissen, konnten aber wunderbarerweise gerettet werden und trugen nur äußere Verletzungen davon.
Während die Regierung den geschädigten Leuten nur Plastikplanen für Notunterkünfte zur Verfügung stellte, traten nun die Christen in Aktion. Sie kochten Mittagessen für die Menschen, nahmen teilweise die Obdachlosen in ihre Häuser auf und kauften und verteilten Saatgut zur Aussaat für eine nächste Ernte. Walter koordinierte diese Hilfe und es fand sich ein Bautrupp von Brüdern zusammen, die ihre Zeit einsetzten, um kleine, aber stabile Häuser zu bauen, damit die Familien wieder eine Bleibe bekamen. Da keine Lohnkosten anfielen, konnte jeweils in zwei Wochen ein solches Häuschen gebaut werden. Die Materialkosten: nur etwa 2.000 Euro. Durch Spenden der „f+t“-Leser konnten spontan etwa 10 solcher Häuser finanziert werden, wofür die Geschwister dort sehr dankbar sind.
Solch ein Bautrupp besteht aber nicht nur aus fleißigen und fähigen Maurern und Handwerkern, sondern sie arbeiten gleichzeitig auch als Evangelisten, die an den Abenden in der Umgebung das Evangelium predigen und durch ihre praktische Hilfe natürlich sehr glaubwürdig sind und auf offene Ohren und Herzen stoßen.
Unter Zauberern und Drogenhändlern in der Mosquitia
Eine ganz andere Aufgabe hat Omar Ortiz, von dem wir schon öfter berichtet haben, vom Herrn bekommen. Er macht sich alle paar Monate jeweils für zwei bis drei Wochen auf den mühsamen Weg, um Menschen in einem riesigen Regenwald- Gebiet aufzusuchen, die völlig von der Außenwelt abgeschlossen leben und nur per Flugzeug oder Schiff erreichbar sind. Dort leben die „Misquitos“, die ursprünglich aus Südamerika stammen, aber von den Engländern vor Jahrhunderten dort als Sklaven angesiedelt wurden. Im Gegensatz zu den Sklaven aus Afrika, die das mörderische Klima dort nicht überlebten, erwiesen sich diese Misquitos gegen alle Tropen- Krankheiten als resistent und leben daher heute noch in dieser Gegend. Sie sind meist Fischer oder Drogenhändler, denn diese abgeschnittene Gegend ist ein idealer Umschlagplatz für Kokain und andere Drogen, die von dort aus in die USA und andere Länder geschmuggelt werden.
Die Fischer sind meist 12 Tage auf dem Meer unterwegs, um anschließend etwa 9 Tage wildeste Orgien zu veranstalten – mit allen abscheulichen Folgen wie Inzest usw.
Fast alle Misquitos sind im Okkultismus gefangen - Zauberei findet praktisch in jeder Familie statt. Vergiftungen sind an der Tagesordnung, keiner traut dem anderen. Wenn ein Misquito irgendwo zu Gast ist, dann wird er nur das essen, was vor seinen Augen zubereitet wurde und wovon der Gastgeber zuerst gegessen oder getrunken hat.
Omar erzählte uns, dass jedes Mal eine dunkle Wolke sein Gemüt überfällt, wenn er in die Dörfer dieser Menschen kommt. Ein depressiver Druck legt sich auf seine Seele und er spürt sehr deutlich, dass er „Feindesboden“ betreten hat ...
Abenteuer Hausbesuch
Bis vor wenigen Wochen gab es keinen einzigen Christen in dieser Gegend, der ihm irgendwie beistehen konnte, wenn er tagsüber bei Hausbesuchen Kontakte zu den Menschen knüpfte, um ihnen das Evangelium weiter zu sagen.
Omar erzählte von einem seiner letzten Besuche: »Dieses Mal reiste ein junger Bruder mit mir. Als wir dort ankamen, wussten wir nicht, wo wir übernachten sollten. Keiner ahnte, dass wir kamen und so waren wir auf die Führung des Herrn angewiesen. Nachdem wir gebetet hatten, fragten wir uns, welches Haus wir zuerst aufsuchen sollten. Irgendwie bekam ich den Eindruck, dass wir um 14 Uhr zu „Dona Berta“ gehen sollten, einer bekannten Zauberin, die ich während meiner letzten Besuche kennen gelernt hatte und die ein gewisses Interesse zeigte.
Als wir dort um 14 Uhr anklopften, öffnete uns ein Mädchen die Tür und begrüßte uns mit den Worten: ´Herzlich willkommen, wir haben euch erwartet. Wir haben bereits das Haus aufgeräumt, gebacken und viele Bekannte eingeladen.´ Inzwischen begrüßte uns auch die Dona Berta und auf meine erstaunte Frage, woher sie denn wussten, dass wir kommen würden, antwortete sie: ´Um 11 Uhr hörte ich eine Stimme: ´Um 14 Uhr kommt ein Prediger des Evangeliums!´ Daraufhin habe ich das Haus aufgeräumt, gebacken und unsere Bekannten und Verwandten eingeladen.´
Tatsächlich trafen bald die Eingeladenen ein, Okkultisten und Zauberer und sie hörten sehr aufmerksam dem Evangelium zu. Dona Berta sorgte dafür, das keiner lachte und nach der Botschaft wurde Kaffee und Brot gebracht. Nachdem Berta den ersten Schluck und den ersten Bissen zu sich genommen hatte, wurde ich aufgefordert: ´Bruder, iss und trink!´´“
Omar wird in diesen Dörfern sehr geachtet, bisher gab es keine Tätlichkeiten gegen ihn und inzwischen hat sich auch ein querschnittsgelähmter Mann bekehrt, dessen Frau ihn aber nach seiner Bekehrung sofort verlassen und mit seinen drei Töchtern allein gelassen hat. Gott sei Dank ist in den letzten Wochen ein befreundetes Ehepaar in dieses Gebiet gezogen, wobei die Ehefrau Ärztin ist. So hat Omar jetzt einen Brückenkopf in dieser Gegend, eine Unterkunft bei seinen Besuchen und zwei treue Mitstreiter unter diesen Menschen. Bitte denkt im Gebet an Omar und diese gefahrvolle Aufgabe.
Im drittärmsten Land Amerikas
Während der 2. Woche unserer Reise haben wir Oskar Cubas und fünf weitere junge honduranische Missionars-Ehepaare in Nicaragua besucht.
Nicaragua ist nach Haiti und Kuba das drittärmste Land in Amerika. In einigen Großstädten existiert eine Arbeitslosigkeit von 80% mit den entsprechenden Folgen. Auch die jungen Missionare finden keinen Arbeitsplatz, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und da sie mit wenigen Ausnahmen keinerlei finanzielle Unterstützung von ihren Heimatgemeinden bekommen, sind sie besonders auf die Hilfe des Herrn angewiesen und ihr Glaube wird täglich auf die Probe gestellt.
Aber bei allen äußeren Problemen erleben sie, wie Gott wirkt: In den letzten Jahren sind dort durch den Dienst dieser Geschwister sechs Gemeinden entstanden, die alle aus ehemaligen Katholiken und Sandinisten bestehen.
Mission auf den Straßen Managuas
Helen Goatley ist 68 Jahre alt, Neuseeländerin und seit 9 Jahren Witwe. Als ihr Mann noch lebte, hatten sie als Missionare 5 Jahre in Guatemala und 15 Jahre in El Salvador gearbeitet. Dann wurde ihr Mann krank und starb im Alter von 57 Jahren. Während der Krankheitszeit bekam Helen eine Zeitung in die Hand, in welcher das Elend vieler Frauen in Managua dokumentiert wurde. Diese Frauen sehen sich in ihrer Not gezwungen, um überleben und ihre Familien ernähren zu können, als Prostituierte auf die Straße zu gehen. Diese Schilderung hatte Helen tief bewegt.
Nach dem Tod ihres Mannes lebte sie einige Zeit bei ihren Kindern in Neuseeland, aber das Los dieser Frauen ging ihr nicht mehr aus dem Kopf und sie spürte, wie der Herr sie rief, um diesen Frauen zu helfen. „Das kann ich nicht!“, war ihre erste Reaktion. Aber dann schien der Herr zu sagen: „Aber ich kann es durch Dich!“
Schließlich folgte sie dem Ruf des Herrn, ließ alle Bedenken und Ängste hinter sich und zog nach Managua, um nun eine für sie völlig ungewohnte und fremde Arbeit unter diesen Frauen zu beginnen. Wie bereits erwähnt, sind viele dieser Frauen verheiratete Mütter, die keine andere Überlebenschance sehen, um ihre Familie zu ernähren. Sie gehen mit Widerwillen diesem „Gewerbe“ nach, das ihnen jede Würde nimmt und mit vielen seelischen Verletzungen verbunden ist, auch wenn man das diesen Frauen nicht auf den ersten Blick ansieht.
Helen geht mit Liebe und Respekt auf diese Frauen zu und beginnt ein Gespräch etwa mit diesen Worten: „Gott hat ein anderes Leben für Dich vorgesehen.“ Häufig öffnen sich dann die Herzen und sie kann diese Frauen zu sich in ihre Wohnung einladen, wo sie sich Zeit für sie nimmt, mit ihnen die Bibel liest und betet. Jeden Samstag trifft sich inzwischen ein Kreis von praktizierenden oder ehemaligen Prostituierten in ihrer Wohnung.
Gott hat diese liebevolle und geduldige Arbeit gesegnet: Bisher sind etwa 10 dieser Frauen zum Glauben gekommen, sind getauft und ohne Vorbehalte in die neu entstandene kleine Gemeinde aufgenommen worden. Auch einige Ehemänner sind dadurch mit dem Evangelium bekannt und Familien geheilt worden.
Allerdings entstand für diese Frauen nach ihrer Bekehrung ein neues Problem: Wie sollen sie nun ihre Familien ernähren?! Aber auch hier versuchen die Geschwister in der Gemeinde zu helfen und sogar aus Honduras werden Nähmaschinen gebracht, um ihnen eine kleine Verdienstmöglichkeit mit Näharbeiten zu verschaffen.
»Wen soll ich senden, wer wird für mich gehen?«
Bevor wir uns von Helen verabschiedeten, fragte ich sie nach einigen Gebetsanliegen, die ich weitergeben könnte. Sie gab mir drei Anliegen mit:
1. Das Geistliche Wachstum und die Selbstständigkeit der Frauen. 2. Die Weiterführung des Dienstes, wenn der Herr Helen Goatley abruft. 3. Gebet für ein Ehepaar, das sich gemeinsam dieser Arbeit annimmt.
Das sind die „Hecken und Zäune“, die „Kreuzwege der Landstraßen“, von denen der Herr geredet und an die er seine Diener befohlen hat - oder die „Felsen, die Löcher, die wilden Sträuch“ aus dem alten Lied der Herrnhuter...
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