Es ist mehr als 30 Jahre her, dass ich im pakistanischen Pandschab Christen kennenlernte. Sie wiesen mir den Weg zum ewigen Leben. Besonders einer unter ihnen ist mir unvergesslich. Er hieß Jaqoob, und er war ein Mann des Gebets. Wieviel er für mich betete, bis ich den Sohn Gottes erkannte und an ihn glauben konnte, kann ich nur ahnen. Von diesem Jaqoob und von anderen Gläubigen hörte ich immer wieder einen Namen, der mit Hochachtung, ja, fast mir Ehrfurcht genannt wurde: Bakht Singh. Im Haus eines etwas bessergestellten Glaubensbruders, der sogar Englisch konnte und ein Tonbandgerät hatte, hörte ich einmal den Ausschnitt einer Predigt von diesem Mann. Diesem Bakht Singh - so hörte ich - verdanke man in Pakistan die Existenz jener christlichen Versammlungen, die ich in Karachi, Lahore, Gujranwala und Rawalpindi kennengelernt hatte. Seit vielen Jahren hatte er nicht mehr nach Pakistan kommen können, weil kein Inder in diesem Land willkommen war (das galt auch umgekehrt). So erzählte man sich halt die Anekdoten und Geschichten, die man aus der Zeit der Erweckung in den dreißiger und vierziger Jahren von ihm wußte. Er habe ganze Nächte hindurch gebetet, ganze Dörfer seien durch seine Predigten erweckt worden, er habe ganz arm gelebt, einen wahreren Jünger Jesu habe Indien vielleicht nie gesehen usw.
Kraft und Fülle des Wortes Gottes
Als ich 1973 von Pakistan nach Indien weiterreiste, hatte ich Adressen von Gemeinden in Dehli und Bombay im Gepäck. Es waren ebenfalls „Bakht Singh-Assemblies“, wie Außenstehende diese Gemeinden nennen. Ich kann mich noch gut an den ersten Sonntag in Dehli erinnern. Was ich nicht mehr vergesse, ist die Predigt des Wortes Gottes. Es war eine Bibelpredigt, die diesen Namen wirklich verdiente. Eine regelrechte Kaskade von Bibelworten ging über uns nieder. Den Inhalt weiß ich nicht mehr, aber ich weiß, dass mich die Kraft und die Fülle des Wortes Gottes überwältigte. Ich hatte damals erst vor wenigen Wochen Heilsgewissheit gefunden. Und dann sehe ich den Bruder vor mir, bei dem ich damals einige Tage verbrachte. Als ich bei ihm anklopfte, öffnete seine Tochter die Tür und ließ mich herein. Der Vater saß im Schneidersitz auf dem Tscharpai (ein Bettgestell) und las die Bibel. Ich bin im Lauf der Jahre wiederholt in diesem Haus ein- und ausgegangen. Immer sah ich Bruder Inayat dort sitzen mit der Bibel vor sich und einem Bleistift in der Hand. Von ihm lernte ich, die ganze Bibel fortlaufend zu lesen. Dafür bin ich ihm bis heute unendlich dankbar. Auch in Dehli hörte ich dann und wann den Namen Bakth Singh, aber hier war er nicht wie in Pakistan Legende geworden, denn er lebte ja noch unter den Geschwistern und man kannte ihn persönlich. Aber man sprach von ihm immer mit Dankbarkeit.
Lebendiger Gottesdienst
Die Gottesdienste in den Versammlungen dauerten Sonntags von 9 bis 13 Uhr. Man sang indische Lieder, begleitet von einfachen indischen Instrumenten. Dann sagte jemand ein kurzes Wort zum Brotbrechen und anschließend betete die Gemeinde eine Stunde lang den Herrn an, ohne Musik; nur Gebete des Dankes und der Bewunderung für den Herrn und Sein Erlösungswerk. Darauf folgte die Predigt. Und dann ging stets ein Teil der Gemeinde hinaus auf die Straßen zum Predigen und Schriften verteilen. Unter der Woche traf man sich in Hausversammlungen zum Bibelstudium und zum Gebet - aber wirklich zum Gebet: ausharrendes, flehendes Ringen. An den Brüdern in Pakistan und Indien konnte ich lernen, was Gebet ist. Auch dafür bin ich bis heute sehr, sehr dankbar.
Ein „großer“ Mann – nur etwas kleiner und älter als die anderen
Obwohl ich 1973 und 1974 weitere Gemeinden in Nord-Indien kennenlernte, traf ich Bakth Singh nie. Ich sah ihn zum ersten Mal 1977. Ein Schweizer Christ, der Bakth Singh bei mehreren Besuchen in Süd-Indien kennenlernte, hatte ihn in die Schweiz eingeladen und nun bat er mich, ihn zu übersetzen. Nach allem, was ich von Bakht Singh gehört hatte, empfand ich einen ungeheuren Respekt vor ihm. Ich stellte mir einen stattlichen Pandschabi vor und dachte, dass von diesem großen Gottesmann eine solche Heiligkeit und ein solcher Ernst ausgehen müsse, dass man vor ihm nur die Augen niederschlagen könne. Ich war ziemlich nervös, als ich im Auto zum Flughafen Zürich mitfuhr, wo man ihn abholen sollte. Und plötzlich sah ich drei indische Brüder auf uns zukommen, einer kleiner und etwas älter als die andern – ein freundlicher, liebenswürdiger Mann. Ja, das war der große Bakth Singh. Beim Abendessen scherzte er mit allen, und als er hörte, dass ich sein Übersetzer sein würde, ermutigte er mich so, dass die Nervosität verflog. Später dachte ich: So muss es doch sein, wenn jemand unserem Herrn nachfolgt. Er wird doch auch so einladend sein wie der Herr selbst.
Ein Mann des Gebets
Noch einige Male bekam ich Gelegenheit, Zeit mir Bakth Sing zu verbringen. Als er hörte, dass wir in Arbon angefangen hatten, uns als Gemeinde außerhalb der Denominationen zu versammeln, fragte er als erstes: „Erlebt ihr Angriffe?“ Als ich bejahte, meinte er: „Das ist gut, wir brauchen das, damit wir klein bleiben.“ Einmal fragte ich ihn, warum die Gemeinden in Pakistan nicht so wachsen wie in Indien. Seine Antwort: „Weil die Brüder uneins sind.“ Er hatte Recht, das hatte ich selber erfahren. Ich fragte ihn, was er tun würde, um dem abzuhelfen. „Ich würde die führenden Brüder zusammenrufen, und dann würden wir zusammen so lange beten, bis der Herr redet.“ Mir kommt kein anderer Diener des Herrn in den Sinn, von dem ich eine solche Antwort erwarten würde. Und noch weniger wüsste ich jemanden zu nennen, von dem ich weiß, dass er genau so handeln würde.
Ein nutzloses Gefäß?
Beim letzten Dienst, den Bakth Singh in der Schweiz tat, wurde er krank. Es war der Anfang jener Erkrankung, von der er sich bis zu seinem Tod nicht mehr erholte. Die Brüder Lazar Sen und Philip Kuruvilla waren mit ihm. Sie riefen mich und noch einige Brüder zum Gebet. Da lag dieser Knecht des Herrn, durch den so viele Menschen gerettet wurden, dass nur der Himmel sie zu zählen weiß und durch den damals schon sieben- oder achthundert Gemeinden entstanden waren – er lag da und sagte im Gebet: „Lord, I am a useless vessel – Herr, ich bin ein nutzloses Gefäß.“ Das ist mir ans Herz gegangen.
Der Mann war klein von Statur – und er war klein in seinen eigenen Augen. Ich habe im Lauf der Jahre viele Diener des Herrn kennengelernt, viele, zu denen ich aufschaue, viele, die mir Lehrer und Vorbilder geworden sind. Alle hatten (und haben) ihre Stärken und Schwächen. Das war auch bei Bakth Singh so. Aber er ist bis heute der einzige, den ich einen Mann Gottes nennen möchte in jenem vollen Sinn, in dem auch ein Elia so genannt wird (1Kö 17,24). Er war jemand, der mit Gott und Menschen gerungen und obsiegt hatte.
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