Adoniram Judson – der Außergewöhnliche Am 9. August 1788 wurde Adoniram Judson Senior zum ersten Mal Vater. Seine Frau Abigail, geb. Brown, brachte einen Jungen zur Welt: Adoniram Judson Juniora). Der junge Vater war ein kongregationalistischer Pastor, der zu diesem Zeitpunkt ein Pastorat in der Gemeinde Malden, Massachusetts, innehatte – eine nicht einfache Aufgabe, da die Gemeinde unter erheblichen, historisch bedingten Spannungen litt. Schließlich verlor er wegen dieses Konflikts und wegen einer starken Minderheit, die seine konservative Theologie missbilligte (er stand in der Tradition Jonathan Edwards), dort sein Pastorat. Die Familie zog daraufhin Ende 1792 nach Wenham, Essex County, und 1802, nach einem zweijährigen Aufenthalt in Braintree, nach Plymouth, wo Judson Senior bis 1817 Pastor blieb.(b) Der kleine Adoniram Judson Junior wird von seinen Biographen als außergewöhnlich begabt geschildert. Während sein Vater auf einer Missionsreise in den Westen des Landes unterwegs war, brachte ihm seine Mutter innerhalb einer Woche das Lesen bei, so dass er seinem Vater nach dessen Rückkehr ein ganzes Kapitel aus der Bibel vorlas – mit drei Jahren! In den folgenden Jahren sog Adoniram alles auf, was er in die Finger bekam – ob Unterhaltungsliteratur oder die anspruchsvollen theologischen Werke in der Bibliothek seines Vaters. Jedes Rätsel war für ihn eine Herausforderung und bei dem Versuch die Bewegung der Sonne zu entschlüsseln, ruinierte er sich fast sein Augenlicht, da er einen Nachmittag lang auf einem Feld durch ein gelochtes Stück Pappe in die Sonne schaute. (Er war aber fortan davon überzeugt, das Rätsel gelöst zu haben.) Neben seiner auffallenden Intelligenz zeichnete sich Adoniram schon in jungen Jahren durch ein hohes Maß an Durchhaltevermögen und eine gewisse Neigung aus, die Führerschaft einer Gruppe zu übernehmen. Dabei vertrat er selbstbewusst und bestimmt seine Interessen. Dennoch wird er als sehr liebenswürdiger und angenehmer Charakter geschildert. Seine schulischen Leistungen waren erwartungsgemäß ausgezeichnet, er stach besonders in Mathematik und den alten Sprachen hervor, so dass seine Klassenkameraden ihn mit dem Spitznamen „Vergil“(c) versahen. Trotz einer schweren Krankheit, die ihn ein Jahr lang hinderte, die Schule zu besuchen, ging Adoniram ein Jahr früher als gewöhnlich auf das College (damals noch „Providence College“, später und bis heute „Brown University“). Von seinen Kommilitonen anfänglich kaum wahrgenommen, sahen sich seine Professoren bald genötigt, seinem Vater einen Glückwunschbrief wegen der außergewöhnlichen Begabung des Jungen zu senden! Das größte akademische Ziel bestand für ihn zu diesem Zeitpunkt darin, Jahrgangsbester zu werden. Ende des Semesters 1807 sandte er eine kurze Notiz nach Hause: „Lieber Vater, ich hab‘s geschafft! Dein dir zugetaner Sohn, A.J.“(1) Am 2. September 1807 fand die Abschlussfeier statt, bei der er die Abschlussrede halten durfte.(d) Der unscheinbare Titel: „Eine Rede zur freien Untersuchung“ verbarg die Wandlung, die sich während des Studiums in Adoniram vollzogen hatte.
Deistische Revolution Adoniram hat als Kind und Jugendlicher nie den Glauben seiner Eltern verleugnet oder abgelehnt – er hat ihn aber auch nie angenommen, zumindest sind darüber weder Erinnerungen, noch Notizen erhalten. Sein Vater, der die außergewöhnliche Begabung seines Sohnes durchaus wahrnahm, scheint Adonirams Ehrgeiz gezielt gefördert zu haben – anders dürfte die seltsame Notiz zum Erreichen des Klassenbesten kaum zu verstehen sein. Judson Sen. hatte große Pläne mit seinem Sohn – und Judson Jun. ebenfalls. Dennoch war dem Vater daran gelegen, dass sein Sohn auf ein College mit einwandfreiem theologisch-konservativem Ruf kam. Während des Studiums freundete Adoniram sich mit Jacob Eames an, einem Studenten aus dem Vorgänger-Jahrgang. Er war Deist (e) und sein Einfluss auf Adoniram war groß genug, um ihn ebenfalls in die aus Frankreich anrollende Welle der Aufklärung hineinzuziehen. Neben ihren phantasievollen Plänen für die Zukunft, in der sie sich mal als Juristen, mal als Senatoren oder sogar Präsidenten, an anderen Tagen wiederum als Schriftsteller sahen, prägte Eames offensichtlich die rebellierende Geisteshaltung Judsons erheblich.
Die Reise nach New-York Nach seinem Studium veröffentlichte Judson als 19 jähriger ein vielgelobtes Grammatikbuch und eine „Arithmetik für junge Frauen“, eröffnete eine Privatschule und schloss sie ein Jahr später wieder – alles mehr aus Unentschlossenheit, was seine Zukunft anging, als aus Überzeugung. Nach und nach festigte sich jedoch der Wunsch, eine Schriftsteller-Karriere beim Theater zu beginnen. Zu diesem Zweck wollte er eine Reise nach New York antreten, um sich dort mit den Gepflogenheiten des Schauspiels vertraut zu machen. Seine Eltern waren von dieser Absicht völlig schockiert. Noch größer war jedoch das Entsetzen, als Adoniram ihnen – auf die Frage, warum er nicht Geistlicher werden wollte – erbarmungslos die Wahrheit über seine neuen Auffassungen preisgab. Sein Vater versuchte ihn argumentativ von seinen Überzeugungen abzubringen, musste aber nach kurzer Zeit feststellen, dass er den Glückwunschbrief der Professoren nicht umsonst empfangen hatte. Judson Junior war dem Vater weit überlegen und parierte jedes Argument mit zwei Gegenargumenten. Gegen Abend verfiel der alte Pastor in ein grimmiges, ohnmächtiges Schweigen – wissend, Recht zu haben, aber unfähig, die intellektuellen Stöße des Sohnes abwehren zu können. Seine Frau hatte eine andere „Waffe“: „Sie weinte, betete und protestierte. Adoniram Junior wusste um seine argumentative Überlegenheit seinem Vater gegenüber; aber er hatte nichts in der Hand, um sich gegen die Tränen und Warnungen seiner Mutter zu wehren, und sie folgte ihm nun wohin immer er ging.“(2)
Deistische Zufälle oder theistische Vorsehung? Der Erfolg seiner Reise muss aus Adonirams Sicht eine herbe Enttäuschung gewesen sein. Er kam außerhalb der Theatersaison in New York an, wo er – statt jubelnd aufgenommen zu werden – als Unbekannter in einer kleinen, reisenden Theatergruppe Anschluss fand. Nach wenigen Wochen besann er sich offenbar eines Besseren und trat die Heimreise an. Er beabsichtigte, zuerst seinen Onkel Ephraim in Sheffield zu besuchen, wo er auf dem Hinweg sein Pferd zurückgelassen hatte. Statt seines Onkels traf er dort jedoch nur einen jungen, wohl ungefähr gleichaltrigen Geistlichen an, mit dem er eine angeregte Unterhaltung führte. Beeindruckt von der Ernsthaftigkeit, angerührt durch die warme Freundlichkeit und überrascht von dem offensichtlichen inneren Frieden, den der junge Mann ausstrahlte, verließ Adoniram das Haus seines Onkels und suchte sich in einem Gasthaus eine Übernachtungs-Möglichkeit. Im Gasthaus fand sich nur noch ein freies Zimmer. Der Wirt entschuldigte sich im voraus bei Adoniram, da im Nebenzimmer ein Schwerkranker im Sterben lag und er befürchtete, dass die Nachtruhe durch den Sterbenden gestört würde. Tatsächlich wurde Judson einen nicht unbeträchtlichen Teil der Nacht durch Schritte, Türschlagen, Stöhnen, leises Flüstern u.ä. wachgehalten. Dazu kamen seine eigenen Gedanken – er machte sich Sorgen über das Seelenheil seines Zimmer-Nachbarn! Er konnte nicht umhin sich zu fragen, ob der Kranke bereit sei, die Welt zu verlassen. Peinlich angerührt – seine eigene deistische Philosophie verbot ihm ja solche Fragen als sentimentalen Unsinn – überlegte er, wie wohl sein Freund Jacob Eames mit solchen Zweifeln umgehen würde. Als er nach der unruhigen Nacht am Morgen den Wirt nach dem Befinden des Kranken fragte, bekam er zur Antwort, dass der junge Mann tatsächlich gestorben sei. „Wissen Sie, wer es war?“ fragte Adoniram. „Natürlich“, antwortete der Wirt, „ein junger Mann von der Brown-Universität – ein netter Kerl, sein Name war Eames, Jacob Eames.“(3) Adoniram war bis ins Mark erschüttert und erst Stunden später in der Lage, völlig orientierungslos seine Reise fortzusetzen. Er lenkte sein Pferd mechanisch in Richtung seines Elternhauses und kam dort gänzlich konsterniert, verwirrt und von Zweifeln geplagt an. Hilfe konnte er dort nicht erhoffen – die Argumente seines Vaters waren aufgebraucht – und so sank Adoniram für längere Zeit in einen Zustand völliger Hilflosigkeit, intellektueller Zweifel und in ein Ringen nach der Wahrheit.
Bekehrung in Andover Kurz nach seiner Heimkehr bekam Judson Senior Besuch von zwei unter den konservativen Kongregationalisten führenden Geistlichen: Dr. Stuart und Dr. Griffin. Sie wollten mit ihm über die Neugründung eines christlichen Colleges sprechen, da Harvard fest im Griff der Liberalen sei. Griffin lud Adonriam Junior ein, sich in diesem College (Andover College) einzuschreiben, um dort Zeit und Möglichkeit zu haben, seinen Zweifeln durch Studien und durch Gespräche mit den Professoren zu begegnen und sie zu überwinden. Anfänglich zögernd, wurde Judson am 12. Oktober 1808 als „außerordentlicher“ Student in das zweite Studienjahr eingegliedert und warf sich mit Eifer in die Arbeit. Sechs Wochen später wurde er gänzlich von der göttlichen Wahrheit überwunden. Am 2. Dezember traf er die Entscheidung, sein Leben Gott ganz zur Verfügung zu stellen und am 28. Mai 1809 bekannte er öffentlich seinen Glauben und trat der „Third Congregational Church“ in Plymouth bei – der Gemeinde, in der sein Vater als Pastor diente.
Beginn der Missionsbewegung Judsons Bekehrung war nicht so, dass es einen Moment gegeben hätte, in dem ihm die Wahrheit in einem Nu aufgegangen wäre. Es war vielmehr ein langsamer Prozess, indem er Stück für Stück der Wahrheit näher kam, bis er sie schlussendlich fassen konnte.(f) Ebenso war es bei der Entstehung seines Wunsches, in die Mission zu gehen. Doch genau wie bei seiner Bekehrung gab es aber auch hier ein einzelnes Ereignis, was den Auslöser darstellte. In Amerika – was zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich aus den östlichen Kolonien Neuenglands bestand – gab es um die Jahrhundertwende wenige Christen, die Mission überhaupt in Betracht zogen. Es waren Ausnahmen wie Jonathan Edwards und David Brainerd, die einige Jahre zuvor damit begonnen hatten, die amerikanischen Ureinwohner zu missionieren. Auch von Adoniram Judson Senior ist ein entsprechender „Kurzeinsatz“ überliefert. An Mission außerhalb des amerikanischen Kontinents dachte so gut wie niemand. 1793 schiffte sich der Engländer William Carey mit seiner Familie in Richtung Indien ein und weckte damit ein allgemeines Missions- Interesse. Letztendlich war es auch ein Engländer, Claudius Buchanan, der in Bristol eine Predigt über das Missionswerk in Indien hielt, die in gedruckter Form mit dem Titel „The Star Of The East“(g) kurze Zeit später Amerika erreichte. „Obwohl ich im Nachhinein die Predigt nicht als außergewöhnlich herausragend bezeichnen würde, hinterließ sie einen starken Eindruck bei mir. Für einige Tage war ich nicht in der Lage, den Studien meiner Klasse zu folgen und verbrachte die Zeit damit, mich über meine frühere Dummheit zu wundern. Ich malte mir die romantischsten Szenen eines Missionarslebens aus und trieb mich durch die College-Räume und deklamierte überall über das Thema Mission. Meine Vorstellungen waren völlig falsch und meine Gefühle übermäßig; aber ich bin Gott immer dankbar gewesen, dass er mich in diesen aufgeregten Zustand gebracht hat, der es mir ermöglichte, meine starken Bindungen an mein zu Hause und mein Heimatland zu durchbrechen und den Gedanken erträglich machte, alle meine großen Ziele und vielversprechenden Aussichten aufzugeben.“(4) Judson hatte Feuer gefangen! Und er war nicht der einzige. Vier weitere junge Männer, dachten – wenn auch geräuschloser als Adoniram – darüber nach, ihr Leben der Mission zu widmen. Sie schlossen sich bald zur einer „Brüder- Vereinigung“ zusammen, deren klar formuliertes Ziel die „Mission der Heiden“ war. Als Judson seinen Eltern von diesen Plänen berichtete, waren diese wiederum entsetzt. Sie wollten ihm eigentlich am gleichen Abend von dem fantastischen Angebot berichten, dass Dr. Griffin ihn als Assistenzpastor einer großen und angesehenen Gemeinde in Boston gewinnen wollte – der erste Schritt, um ein großer Geistlicher Neuenglands zu werden. Adonirams Antwort erschütterte die Familie: „Ich werde nie in Boston leben. Ich habe einen viel weiteren Weg vor mir.“(5)
Entstehung des „American Board for Foreign Missions“ Da es allerdings noch keine amerikanische Missionsgesellschaft gab, war völlig unklar, wie die „Mission der Heiden“ überhaupt realisiert werden sollte. Kurz vor dem Beginn der Generalversammlung der Vereinigung der Kongregationalisten („General Association of Massachusetts Proper“), einer vor kurzem gegründeten Organisation, kam es zu einem Treffen zwischen den jungen Männern und einigen älteren Geistlichen, denen sie ihr Anliegen vortrugen. Es wurde beschlossen, der General Association den Vorschlag zur Bildung eines entsprechenden „Board of Commissioners for Foreign Mission“h) zu unterbreiten, um einige der jungen Männer (man traute sich nicht, direkt alle vorzuschlagen) auszusenden. Der Vorschlag wurde am 28. Juni 1810 mit großer Mehrheit angenommen – und dann passierte nichts … Man hatte weder Erfahrung in der Organisation, noch die nötigen Mittel, um Missionare auszustatten. Daher wurde einige Zeit später beschlossen, Adoniram – der als Wortführer der Missionsanwärter allgemein anerkannt wurde – nach England zu senden, um zu erfahren, ob es die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der Londoner Missionsgesellschaft geben könnte. Adoniram musste sogar die Reisekosten vorstrecken. Die Fahrt nach England war ein Abenteuer für sich. Das Schiff wurde von einem französischen Schiff gekapert und der unscheinbare Adoniram, der sich mit den Franzosen nicht verständigen konnte, wurde mit der Schiffsmannschaft unter Deck eingesperrt. Im düsteren Zwischendeck suchte er sich seine hebräische Bibel und nutzte das wenige Licht, um den Text gedanklich ins lateinische zu übersetzen – als Zeitvertreib! Der Schiffsarzt, der ihn aufgrund einer schweren Seekrankheit täglich besuchte, erkannte die hebräische Bibel und fand als gebildeter Mann des 18 Jhdts. eine Kommunikationsmöglichkeit mit „Vergil“: Latein! Den Rest der Reise verbrachte Judson bei den Offizieren und den reichen Mitreisenden … Nach der Ankunft in Frankreich gelang Judson mit Hilfe eines amerikanischen Landmannes eine spektakuläre Flucht und erreichte über Umwege England – am Ende sogar mit der Equipage Napoleons. Dort sprach er am 6. Mai 1811 beim Direktor der „London Mission Society“ vor, die sich nach einigen Beratungen bereit erklärte, die amerikanischen Brüder auszusenden – jedoch ohne Mitwirkung der Amerikaner, was man einfach als impraktikabel ansah. Zurückgekehrt stellte Judson das Ergebnis den amerikanischen Brüdern vor und enttäuschte damit deren Erwartungen. Man hatte wohl insgeheim gehofft, die Leitung selbst übernehmen und lediglich die finanzielle Unterstützung über England beziehen zu können. So wurde vom Komitee festgehalten „dass dieses Gremium den Herren Judson und Nott nicht empfiehlt, sich derzeit unter die Leitung der Londoner Missionsgesellschaft zu begeben, sondern die weiteren Andeutungen der Vorsehung, bezogen auf unsere Möglichkeiten sie mit der erforderlichen Unterstützung im Hinblick auf die vorgeschlagene Auslandsmission auszustatten, abzuwarten“.(6) Trotz der fehlenden Mittel wurden jedoch konkrete Anstalten gemacht, um eine Ausreise zu ermöglichen. In der derzeitigen politischen Situation – die Spannungen zwischen den jungen Vereinigten Staaten von Amerika und dem britischen Empire hatten wieder stark zugenommen – fuhren von den USA aus kaum Schiffe in die britischen Kolonien. Ende Januar 1812 traf unerwartet die Nachricht ein, dass ein Schiff von Philadelphia aus bald nach Indien aufbrechen würde. Allen war klar, dass dies wohl fürs erste die einzige Möglichkeit war und so beschloss man – trotz fehlender Mittel – die Ausreise der Missionare. Da noch keiner der Missionare ordiniert war (und die Paare auch noch nicht verheiratet waren), brach geschäftige Hektik aus. Die Nachricht von einem zweiten Schiff, dass Indien von Salem aus ansteuerte und am 10. Februar auslaufen sollte, verstärkte den Druck.
Hochzeit und Abreise Am 5. Februar heiratete Adoniram Ann („Nancy“) Hasseltine, die er während der General Association 1810 kennen gelernt hatte. Schon kurz nach dem Kennenlernen hielt er bei ihrem Vater mit bemerkenswerter Offenheit um ihre Hand an: „Ich muss nun anfragen, ob Sie einwilligen, sich im nächsten Frühjahr von ihrer Tochter zu trennen, um sie in dieser Welt nie wiederzusehen; […] Ich frage Sie, ob Sie einverstanden sind, dass sie sich den Gefahren des Ozeans und dem tödlichen Einfluss des Klimas auf dem indischen Subkontinent aussetzt; dazu jeder Art von Entbehrungen und Kümmernissen, von Erniedrigung, Beschimpfungen, Verfolgung und vielleicht einem gewaltsamen Tod. Können Sie all dem zustimmen um dessentwillen, der seine himmlische Heimat verließ, um für Ihre Tochter und auch für Sie zu sterben […]? Können Sie all dem zustimmen in der Hoffnung, Ihre Tochter bald in der Welt der Herrlichkeit wiederzutreffen, die Krone der Gerechtigkeit tragend und geschmückt mit den Lobeshymnen, die ihrem Erlöser von Heiden dargebracht werden, die von ewiger Not und Hoffnungslosigkeit errettet wurden, weil sie ihnen die Heilsbotschaft gebracht hat?“(7) Noch am gleichen Tag fand ein Gottesdienst statt, indem Ann und ihre Freundin Harriet Atwood, die bald darauf Samuel Newell heiraten sollte, verabschiedet wurden. Die Gemeinde weinte hemmungslos, als die ergreifende Hymne „Go, ye heralds of salvation“i) in dem völlig überfüllten Gotteshaus erscholl, die der Pastor Parson Allen, der die jungen Frauen von Kind an kannte, eigens zu diesem Anlass geschrieben hatte. Am nächsten Tag wurden Judson und seine vier Freunde Samuel Nott, Samuel Newell, Gordon Hall und Luther Rice ordiniert. In der ganzen Umgebung war bekannt geworden, dass ein historischer Moment gefeiert wurde: die ersten amerikanischen Außenmissionare sollten ordiniert und gleichzeitig ausgesandt werden. Die Menschen strömten ungeachtet der harten Witterung ins Tabernacle nach Salem. Eine Gruppe Studenten legte 16 Meilen zurück, um morgens früh um 11 Uhr pünktlich anwesend zu sein! Ein Besucher wäre auf dem Rückweg fast erfroren, wurde aber glücklicherweise von anderen Besuchern im Schnee liegend entdeckt. Der Gottesdienst wurde von den Geistlichen gehalten, welche für die jungen Männer in den vergangenen zwei Jahren Väter geworden waren – und umgekehrt waren die jungen Männer wie Söhne geworden. Entsprechend emotional waren die Feierlichkeiten. Allen Beteiligten war bewusst, dass die jungen Männer möglicherweise nie zurückkehren würden. Als die älteren Geistlichen den knienden Missionaren die Hände auflegten und Dr. Morse das Ordinationsgebetsprach, brach der größte Teil der Anwesenden in Tränen aus. Dreizehn Tage später, am 19. Februar 1812, glitt die Caravan unter einer leichten Brise gemächlich aus dem Hafen von Salem. An Bord waren Adoniram und Ann Judson sowie Samuel und Harriet Newell. Ihr Ziel: Indien.
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