Klarer Kopf und kaltes Herz?
Viele sprechen von diesen frühen Tagen des Pilgerlebens, als seien sie bloß eine erste Aufregung gewesen. Sie preisen sich glücklich, daß sie jetzt einen nüchterneren und intelligenteren Standpunkt bezogen haben. Sie haben eine tiefere Kenntnis des Wortes erlangt und können ohne Schwierigkeiten von vielen Dingen reden, von denen sie früher nichts wußten.
Das mag sein, aber wir können nicht umhin, daran zu denken, daß bei einigen zwar das Wissen gewachsen ist, jedoch ohne eine entsprechende Bereicherung für das Herz; und wenn auch das Verständnis etwas gewonnen hat, so hat das Herz ein gut Teil verloren.
Es gibt einen Mangel an warmer Zuneigung und Liebe, die für ihre ersten Tage so kennzeichnend waren, eine Liebe, die für Jesus durch Wasser und Feuer gegangen wäre. Wenn sich auch gelegentlich natürliche Gefühle daruntermischten, so glauben wir doch, daß das dem Herrn sehr viel mehr gefällt als ein klarer Kopf und ein kaltes Herz es je tun können.
Sicherlich, liebe Brüder, sollte eine längere Bekanntschaft mit dem Herrn und eine tiefere Kenntnis Seiner Wege die gegenteilige Wirkung erzielen. Unsere Zuneigung sollte wärmer sein und unsere Freude um so tiefer, je länger wir Ihn kennen. Wir können nicht zugeben, daß solche Freuden nux das Teil der neugeborenen Kinder Gottes seien und daß es bei erfahrenen Gläubigen heißen müsse: "Je älter, desto kälter." Wir sind wenigstens sicher, daß das nicht der Wille Gottes ist, so wahr es auch in der Erfahrung der Heiligen sein mag. Die freudige Erregung mag vergehen wie die Blüten der Bäume, aber die köstliche Frucht des Geistes Gottes, "Liebe, Freude, Friede" (Gal. 5,22), reift mehr und mehr heran, wenn wir in dem Sonnenlicht und der Wärme Seiner Gegenwart leben. "Die völlige Freude" (Joh. 15,11; 1. Joh. 1,4) und "beständiges Lob" (Ps. 84,4; Hebr. 13,15) sind das gesegnete Teil aller, die mit Gott wandeln und in Ihm bleiben.
Aber wie wenige haben diese Beständigkeit, wie wenige singen mitten in den Prüfungen der Wüste, so wie sie es in den Tagen ihrer Jugend taten! Wie wenige Stimmen, die zu Beginn der Wüstenreise am Roten Meer das Lied anstimmten, konnten das Lied von 4_ Mo. 21,17 einstimmen, als sie ihrem Ziele nahe waren! Wie viele sind auf dem Wege zusammengebrochen! Wie viele haben gemurrt und sind hingestreckt worden! Und ist es nicht auch heute noch so? Ich spreche nicht von der ewigen Errettung der Seele, sondern von dem Verfall der Geretteten auf ihrer Reise zum Himmel. Wie steht es mit dir? Hast du immer noch die Frische und Einfalt deiner ersten Liebe? Lobt dein Herz immer noch Gott in dem Maße wie an dem Tage deiner Bekehrung, die möglicherweise schon Jahre zurück liegt? Kalte Strenggläubigkeit kann diesen Mangel nicht gutmachen. Kein noch so großer Dienst für Ihn, noch die Kenntnis von Seinem Worte genießen in den Augen Gottes solches Ansehen wie die Ergebenheit eines liebenden Herzens für die Person des Herrn Jesus. Wenn wir doch kindlich und jungfräulichen Herzens in der "Einfalt gegen den Christus" verharrten! -
John Richie (1853 — 1930)
|