O, mein Sohn Markus
meines Herzens Hoffnung und Freude, ich wollte lieber, Du wärst auf meinen Knien gestorben, als daß Du herangewachsen wärst, um des Teufels Narrenkappe zu tragen, ein Diener der Kirche zu heißen und ein Baalspfaffe zu sein.
Weißt Du, daß nach Gottes Gesetz der Mann, der das heilige Salböl nachmachte, verflucht und vermaledeit war in Ewigkeit (2. Mo. 30,31-33)? Wird denn eine geringere Strafe denjenigen treffen, der das Heilige des Neuen Bundes nachmacht, um Menschen und Gott zu belügen?!
Hüte Dich, Markus; es gibt eine Theologie, die hat es mit lauter Imitation zu tun - lauter Falschmünzerei!
Hüte Dich, es gibt eine Theologie, die gleicht einer Lyoner Musikdose, welche ein paar Stückchen ganz fertig abspielt und dann schweigen oder wieder von vorne anfangen muß, bis die Leute darüber einschlafen.
Hüte Dich, es gibt eine Theologie, die gleicht einem Antiquitäten-Kabinett, wo alles beisammen ist - ein härener Rock von einem Kirchenvater, ein Rosenkranz von einem Scholastiker, ein Brillenfutteral von D. Luther, ein Hosenknopf von Calvin, eine Schnupfdose von Zinzendorf und dergleichen Dinge. Markus, laß Dich nicht darauf ein!
Ich weiß, daß auf der Universität mancherlei Getränk eingeschenkt wird. Ich hoffe zu Gott, daß, wenn du auch Gift saufen mußt, so werde es Dir nicht schaden (Mark. 16,18). Aber weil die Welt so von freier Forschung brüllt, so hebe Du nur getrost den Handschuh auf und forsche, daß es Dir keiner an Fleiß und Treue zuvortun kann.
Forsche, bis Du erkennst, daß alle die Großhanse, welche in der Welt wie Leuchttürme angestaunt werden, nur Windbeutel sind, daß alle, die sich nicht beugen vor Gottes Wort, in der Schrift Narren heißen. Gottes Wort, mein Sohn, ist siebenfach geläutert.
Laß Dir keine Bären anbinden, Markus, bücke Dich nicht vor den Götzen der Wissenschäftelei. Denke wenigstens an Deinen Horaz:
Nil admirari prope res est una Numici Solaque quae possit fasere et servare beatum,
oder wie ich es als Primaner übersetzte:
Hänschen, staune ja nicht an, was Du findest auf der Erden, sonst bist Du auf schiefer Bahn und wirst angeschmieret werden.
Das Sprüchlein ist gewiß die Quintessenz mancher bitterer Erfahrungen, die das Männeken gemacht hat, aber es ist mehr Wahrheit darin, als er sich selbst bewußt war. Was ist an der Welt und all ihrem Bettel zu bewundern? Ich wüßte nichts, als daß ein großer und wunderbarer Gott sie so lange getragen hat. Dem frage Du nach, Den bewundere Du und halte es nicht für Muckerei, wenn Du jeden Abend beim Einschlafen ausrufst: "Herr, wie sind Deine Werke so groß und viel!" Deine Aufgabe durch das ganze Triennium hindurch sei Gottes Wort frei zu erforschen - Gottes Wort zu lesen, bis Du die Unterschiede unterscheiden kannst. Gott sei Dir gnädig, mein Sohn, und helfe Dir!
Geh sparsam mit den Groschen um, damit nicht der böse Kürassier, von dem Saloma in Sprüche 24,34 geredet hat, Dich einhole. Ein Student, der Schulden macht, ist ein ebenso jämmerlicher Anblick, wie einer, dem das Hemd zu den Hosen herausguckt. Paß auf und laß Dich nicht verachten. Schreibe uns bald und vergiß unsere Liebe nicht.
Dein Vater Philaletes (Paul Geyser: Aus dem Nachlaß eines Großvaters, 1871)
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